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Auch in Kalkutta gehen Studenten auf die Straße.

Foto: REUTERS/Rupak De Chowdhuri

Neu-Delhi/Dubai – "Stoppt die Hexenjagd" steht auf Transparenten. Indien erlebt die größten Studentenproteste seit langem. Seit Tagen demonstrieren in vielen Städten Nachwuchsakademiker gegen die Festnahme eines Studentenführers. Sie werfen der von der Hindupartei BJP geführten Regierung vor, Dissens ersticken und die Unis politisch gleichschalten zu wollen.

Bereits am 17. Jänner hatte der linke Studentenaktivist Rohith Vemula in Hyderabad Suizid begangen, nachdem er über Wochen schikaniert worden war. Am 12. Februar wurde in Delhi der Studentenführer Kanhaiya Kumar festgenommen. Seitdem brodelt es an den Hochschulen. Auch Oppositionspolitiker, Gewerkschafter und viele Professoren solidarisierten sich mit den Demonstranten.

Gespaltene Nation

Der Fall spaltet die Nation. Während die einen Kumar als Landesverräter schmähen, sehen andere die Debattenkultur Indiens in Gefahr. Viele Linke glauben, dass ein Exempel statuiert werden soll, um die linken Studentenverbände einzuschüchtern und Dissens zu kriminalisieren.

Kumar ist Präsident der Studentengewerkschaften der Jawaharlal-Nehru-Universität (JNU) in Delhi. Die JNU ist für ihren Freigeist bekannt. Spöttisch wird sie auch als Staat im Staate tituliert, weil auf ihrem Campus bis heute linksrevolutionäre Ideologien blühen und sich Studenten mit "Genosse" anreden.

Dem 28-Jährigen wirft man Aufwiegelung vor. Dafür droht lebenslänglich. Fünf weitere Studenten werden gesucht, selbst Journalisten wurden verhört. An der JNU hatte Kumar an einer Gedenkfeier seines Verbandes für den Kaschmiri Afzal Guru teilgenommen, der 2013 gehängt worden war, weil er an der Attacke auf das Parlament 2001 beteiligt gewesen sein soll. Doch es blieben Zweifel an der Prozessführung.

Gefälschtes Video

Bei der Veranstaltung sollen, so der Vorwurf, "antiindische" Slogans skandiert worden sein. Gesichert scheint nur, dass Kumar die BJP-Regierung scharf kritisiert hat, aber nicht, dass er "antinationale" Parolen rief. Den Medien wurde ein Video zugespielt, das Kumar belastet. Doch es war gefälscht. Angeschwärzt wurde Kumar offenbar von der Studentengewerkschaft ABVP, die als Arm der BJP gilt.

Bei einem Gerichtstermin wurden Kumar sowie Professoren und Studenten von BJP-nahen Anwälten verprügelt. Die Polizei sah zu. Gegen die 40 Schläger wurde nie ermittelt. Dagegen sitzt Kumar weiter in Haft. Zwar appellierte er an das Oberste Gericht, ihn gegen Kaution freizulassen. Doch die Richter lassen sich Zeit.

Kritik von Menschenrechtsaktivisten

Hindu-Nationalisten sehen in der JNU schon lange eine "Brutstätte antinationaler Aktivitäten" und verunglimpfen sie als Hort dekadenter Umtriebe. Jeden Tag würden an der Universität 3000 Kondome, 10.000 Zigarettenstummel und 500 Abtreibungsspritzen gefunden, hetzte der BJP-Politiker Gyandev Ahuja gegen die renommierte Uni.

Kritiker fürchten dagegen, dass die BJP-Regierung immer aggressiver gegen Dissidenten vorgehen will. "Kanhaiya ist ein Symbol, und der Kampf geht über die JNU hinaus. Es geht um das Recht auf Dissens und die Meinungsfreiheit", sagt der Aktivist Yogendra Yadav. Auch die US-Organisation Human Rights Watch (HRW) zeigt sich alarmiert und nannte den Fall "politisch motiviert". (Christine Möllhoff, 25.2.2016)