Wright deckte auf, dass ein Nutzer Krebs vortäuscht, um durch Crowdfunding-Kampagnen Geld einzunehmen.

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Im Sommer 2012 war Taryn Wright an ihren Computer gefesselt: Die US-Amerikanerin hatte gerade eine Hüftoperation hinter sich, konnte sich kaum bewegen und war in ihren 30ern wieder ins Haus ihrer Eltern gezogen. Kurzum: Taryn Wright verbrachte viel Zeit in sozialen Netzwerken – und stieß dort auf die Facebook-Seite der Familie Dirr, deren herzzerreißenden Schicksalsschlägen sie gespannt folgte.

Schicksalsschläge en masse

Da gab es etwa den siebenjährigen Eli Dirr, der seit Jahren gegen Krebs kämpfte, während seine Mutter Dana von Komplikationen bei einer neuen Schwangerschaft belastet war. Dann kam die Horrornachricht: Danas Vater schrieb auf Facebook, dass seine hochschwangere Tochter von einem Auto angefahren worden sei – ausgerechnet am Muttertag. Sie konnte das Kind noch zur Welt bringen, dann verstarb sie. Tausende Nutzer trauerten und wollten die Familie mit Crowdfunding unterstützen, was Danas Witwer jedoch ablehnte – er verwies sie auf eine Charity-Organisation.

Ungereimtheiten

Das Problem: Alle Hauptfiguren in dem Drama waren frei erfunden – einzig Emily Dirr, die Schwester der Verstorbenen, existierte. Sie hatte sich die Vorfälle ausgedacht, um ihrem tristen Alltag zu entfliehen. Recherchiert hatte das Wright, der immer mehr Ungereimtheiten auffielen – etwa dass die angeblich erfolgreiche Chirurgin Dana Dirr auf keiner Website eines Krankenhauses erwähnt war. Wright rief daraufhin die nach dem erfundenen krebskranken Eli benannte Warrior Eli Hoax Group ins Leben, wo sie sich mit Gleichgesinnten daranmachte, Fälle wie die Causa Dirr aufzudecken.

Taylor-Swift-Fans erfinden krebskranke Kinder

Zu tun gab es genug: Nachdem etwa Popsängerin Taylor Swift in einem Lied aus dem Blog einer Mutter zitierte, die ihr Kind an Krebs verloren hatte, poppten plötzlich dutzende ähnliche Blogs auf. Oftmals steckten dahinter jugendliche Swift-Fans, die ebenfalls von ihrem Idol zitiert werden wollen. Aber auch die Warrior Eli Hoax Group selbst wurde infiltriert – von einer 24-jährigen Frau namens Carissa Hads, die sich als 16-jähriger alleinerziehender Vater ausgab. Daraufhin führte Wright einen Identitätscheck ein.

Psychische Krankheit

Das "Internet-Münchhausen"-Syndrom wird auch in der Psychologie ernst genommen. Die Gründe für das Vortäuschen falscher Persönlichkeiten und Schicksalsschläge sind vielfältig. Zwar stecken in einigen Fällen durchaus betrügerische Absichten hinter dem Simulieren einer Krankheit, oft ist es aber auch ein Schrei nach Aufmerksamkeit oder eine Flucht aus dem eigenen tristen Leben. Einige Hoaxes, die Wright aufdeckte, strahlten sogar ins echte Leben ab, wo Personen auch in der Arbeit und vor ihren echten Freunden Krebs vortäuschten. Darunter war etwa ein Nutzer, der von der US Leukemia & Lymphoma Society zum "Patienten des Jahres" gewählt worden war.

Hoax-Jägerin wird selbst Zielscheibe

Wright und ihre Mitstreiter gehen extrem vorsichtig vor. "Wir müssen uns tausendprozentig sicher sein", sagte sie zum "Guardian". Seit einiger Zeit kontaktieren sie die Betroffenen auch immer, bevor sie ihre Ergebnisse öffentlich machen. Dreimal musste Wright bereits Behörden einschalten, um Selbstmordabsichten der überführten Hoaxer zu melden. Sie wurde auch selbst zur Zielscheibe, als sich Freunde einer enttarnten Nutzerin bei ihr rächen wollten – und sie mit anonymen Briefen und ihr gewidmeten Hassblogs bedrohten.

Hass anderer Nutzer

Mittlerweile veröffentlicht Wright nur mehr ausgewählte Fälle in ihrem Blog. Die Gruppe an Hobbydetektiven, die sie unterstützen, hat sie drastisch reduziert. Denn während sich Wright oftmals mit den Hoaxern beschäftigte, um ihre Motive herauszufinden, wollten viele Mitstreiter diese lynchen und mit Hassmails bombardieren. Kein Wunder: Wer sein eigenes Kind an Krebs verliert, ist ob einer ähnlichen erfunden Geschichte wohl noch wütender. Doch Wright ist inzwischen davon überzeugt, dass viele Betrüger psychische Probleme haben und nicht zum Spaß oder aus Profitgier simulieren. (red, 24.2.2016)