Ließ weder an der österreichischen Flüchtlingsobergrenze noch an der Reaktion der EU-Kommission ein gutes Haar: Heinz Patzelt.

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Wien – Durch ihren Beschluss von Jahres- und Tagesobergrenzen für Asylanträge und den Plan, die Familienzusammenführung Schutzberechtigter zu erschweren und Asyl vorerst nur auf Zeit zu gewähren, verletze Österreich die Menschenrechte, breche das Völkerrecht und höhle die Gesetze aus: Heinz Patzelt, Leiter von Amnesty International in Österreich, ging bei der Vorstellung des Jahresberichts der internationalen Menschenrechtsorganisation am Dienstag in Wien hart mit dem aktuellen flüchtlingspolitischen Management der Bundesregierung ins Gericht.

Getroffen würden davon Menschen, die alles verloren hätten und Schutz brauchten – Flüchtlinge –, und gleichzeitig werde durch ein solches Vorgehen an einer "Festung des Staates, der Rechtsstaatlichkeit, gerüttelt". Dieses widerspreche nämlich Intentionen und Inhalten der Genfer Flüchtlingskonvention, deren Geschichte es in Erinnerung zu rufen gelte. "Beschlossen wurde die Flüchtlingskonvention als Reaktion auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs und des Völkermords an den Juden mit der klaren Absicht, dass es niemals wieder heißen dürfe: Das Boot ist voll", sagte Patzelt.

"Boot ist voll"-Mentalität als Gefahr

Genau diese Meinung jedoch setze sich nun angesichts der Massenflucht vor den Kriegen des Nahen Ostens und anderswo in Österreich und Europa zunehmend wieder durch – eine Gefahr für die Menschenrechte als Ganzes. Denn, so Patzelt: "Die Menschenrechte können nur funktionieren, wenn Verfolgerstaaten wissen, dass Verfolgte außerhalb ihres Einflussbereichs Schutz erhalten."

Patzelt: Flüchtlingskonvention kennt keine Tagesquoten

Konkret kenne die Flüchtlingskonvention laut Patzelt "weder den Begriff des sicheren Herkunftsstaats noch jenen des sicheren Drittlandes noch jenen der Obergrenze noch jenen der Tagesquote". Nur, leider: "Im Unterschied zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, der die Europäische Menschenrechtskonvention ausjudiziert, gibt es für die Genfer Flüchtlingskonvention kein Flüchtlingsrechtsgericht."

Die Gründung eines EU-weiten Asylgerichts als Berufungsinstanz könnte laut Patzelt Auswege aus der "tiefen flüchtlingspolitischen Krise" weisen.

Doch wie ist im Lichte der Genfer Flüchtlingskonvention der Konflikt zwischen der EU-Kommission und der Regierung wegen der Tagesobergrenze von 80 Asylanträgen an der slowenisch-österreichischen Grenze in Spielfeld einzuschätzen? "Wer an der Grenze 'Asyl' sagt, muss in Österreich ein Verfahren bekommen" sagt Patzelt – und sei es, um festzustellen, welches andere Land dafür zuständig ist.

Avramopoulos' "Banalität"

Und die Reaktion von EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos, dem zufolge alle ankommenden Flüchtlinge in Österreich bleiben müssten? Damit habe Avramopoulos, offenbar mangels Handlungsalternativen, "eine Banalität" ausgedrückt.

Denn klar sei auch: "Die Österreicher sind nicht die Idioten der EU." Vor allem Vertreter anderer EU-Staaten, die zu einer solidarischen Vorgangsweise nicht willens seien, hätten "kein Recht, auf Österreich zu zeigen", das den ankommenden Flüchtlingen aufgrund der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung seit dem Spätsommer große Hilfe geleistet habe.

Lob für Homo-Adoption

Abseits des Asylthemas bescheinigt der Amnesty-Jahresbericht Österreich eine langsame, aber im Endeffekt richtige Reaktion auf Berichte über Missstände im Maßnahmenvollzug und eine Verbesserung der Situation homosexueller Paare durch den Entscheid des Verfassungsgerichtshofs, gleichgeschlechtlichen Paaren die Adoption zu ermöglichen. Als Negativa schlagen fortgesetzte Gewaltvorwürfe an die Polizei und das neue Staatsschutzgesetz zu Buche. (Irene Brickner, 23.2.2016)