High Noon am 28. Juni 2015: Hans Schabus auf dem Lincoln Highway, der "Loneliest Road in America".


Foto: Hans Schabus, © bildrecht gmbh

Salzburg – Ein solches Projekt braucht neben Disziplin vor allem Struktur. Ohne, so Hans Schabus, wäre das nicht zu schaffen. Mehr als 3000 Meilen, also rund 5350 Kilometer, radelte der Künstler letzten Sommer quer durch die Vereinigten Staaten, von der West- zur Ostküste, von Garberville nördlich von San Francisco bis nach New York. 42 Tage lang. Durchschnittlich 130 Kilometer täglich. Auf einem roten Rennrad.

Ein immenser Kraftakt, ein Willensakt, aber auf gewisse Weise auch eine Meditation. Denn die Reise sah der 45-Jährige als Auszeit. Schabus wollte einige Wochen nichts anderes tun müssen, als Rad zu fahren, war auf der "Suche nach einer einfachen Tätigkeit, verbunden mit einfachen Entscheidungen: Was esse ich heute, wann esse ich, wo schlafe ich?"

Ein Herunterbrechen auf das Alltäglichste also, verknüpft mit täglicher Routine: Morgens um halb fünf radelte er los, mittags um 12.00 machte er ein Foto von der vor ihm liegenden Straße, abends schoss er eine Aufnahme von seinem Hotelzimmer – ein Bild, das, so Schabus, im übertragenen Sinn auch Einblick in den intimen Raum des Schlafens gibt. Obendrein schickte er täglich eine Postkarte in die Heimat, in sein Atelier in die Wiener Leystraße. 42 Tage lang.

Schnurgerade und staubig

So eine schweißtreibende Tour de Force, die Schabus etwa durch die Sierra Nevada, die Ausläufer der Rocky Mountains und verschiedenste Klimazonen führte, muss nicht zwangsläufig ein Kunstprojekt sein. The Long Road from Tall Trees to Hall Houses ist es allerdings doch, und zwar einmal ganz abgesehen von den wunderbaren Aufnahmen der klischeehaft weiten, einsamen Landschaften, in denen die Rinder der Marlboro-Cowboys grasen, von riesigen, über schnurgerade, staubige Highways rollenden Trucks und abgerockten Tankstellen, die einen, ganz ungeachtet der Strampel-Strapazen, Radtour-Hirngespinste in den Kopf pflanzen.

Warum? Weil Schabus, in dessen Kunst es immer auch darum geht, Gedanken- und Ideengebilden einen Raum und damit auch einen physischen Körper zu verleihen, mit dieser Reise das Ziel verfolgte, dem Medium Zeit, jener nicht fassbaren Dimension, einen Raum – und dadurch eben auch einen greifbaren Körper – zu geben. Auf grauem Karton montierte er die Fotos eines Tages gemeinsam mit der entsprechenden Postkarte. Etwa mit jener vom 26. 6., die aus Middlegate in Wien ankam, also aus jenem Ort an der "Loneliest Road in America", der sich selbst als "The Middle of Nowhere" ausweist.

Wie ein horizontales Band schreitet man diese 42 Bildtafeln im Salzburger Kunstverein ab. 42 Stationen der USA, die für Schabus auch ein Kulturraum sind, in dem sich spiegelt, wie sich Gesellschaft entwickelt. Zum dreidimensionalen Raum wird die Strecke durch die Öffnung nach außen (Schabus hat einmal mehr einen kleinen Tunnel gegraben) und die vertikale Ausdehnung (er hat sein Gefährt in Einzelteile zerlegt und aufgehängt).

Das Rennrad habe Philosoph Konrad Paul Liessmann einmal eine Reflexionsmaschine genannt, so Schabus. Den Körper verausgaben, um den Geist zu befreien? Die Antworten auf zwei Fragen, die er auf dieser Reise zu lösen suchte, blieben zwar ungefunden. Aber es fand sich in den kleinen Orten, die er passierte, anderes: In Erinnerung blieb ihm etwa die Begegnung mit einer alten Frau, die von "sich verflüssigender Zeit" sprach. Für Schabus, der auf seiner Reise als "verkehrter Lucky Luke" nicht in den Sonnenuntergang, sondern den Sonnenaufgang fuhr und so "fast täglich magische Stunden" erlebte, wurde aus dem Motiv des "Fluid-Seins" die Erkenntnis, dass man an Dingen, die sich verändern, nicht festhalten darf. Dass man sich nicht aufhalten darf mit dem, was unverrückbar ist. (Anne Katrin Feßler, 22.2.2016)