Für eine "Karrierebremse" hält Raidl das Privileg, früher in Pension gehen zu dürfen – Heinisch-Hosek rechtfertigt es als Rettungsanker für Frauen ohne Job

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35 Prozent der Frauen gingen vorzeitig in Pension, weil sie den Job nicht mehr packten oder arbeitslos sind, sagt die Ministerin.

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Viel zu viel Geld wende Österreich für vergangenheitsbezogene Ausgaben wie die Pensionen aus, kritisiert der Nationalbank-Präsident.

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Was beim Pensionsgipfel herauskommt? Nicht viel, glauben beide. "In Zeiten, wo von fünf Kandidaten für die Präsidentenwahl vier Pensionisten sind, ist eine Pensionsreform tabu."

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STANDARD: Herr Raidl, warum wollen Sie und Ihre Reforminitiative Frauen dazu vergattern, bis 65 statt nur bis 60 Jahre zu arbeiten?

Raidl: Ich will Frauen zu nichts Nachteiligem vergattern, sondern ihnen die Chance geben, länger zu arbeiten, damit sie bessere Karrieren und höheren Pensionen erreichen können. Was Ihnen, Frau Ministerin, daran besonders gefallen sollte: Die Frauen wären dann unabhängiger von ihren Partnern.

Heinisch-Hosek: Das wünsche ich mir auch – allerdings schon vom Jugendalter an. Es hilft nichts, am Karriereende die Gleichberechtigung zu entdecken, das muss früher beginnen. Die Frauen steigen bereits mit weniger Gehalt in den Beruf ein, die typischen Frauenbranchen haben schlechte Kollektivverträge. Solange die Benachteiligung nicht beseitigt ist, würde ein höheres Pensionsalter die Situation vieler nur verschlimmern. Frauen sind schon jetzt mehr von Armut betroffen als Männer.

Raidl: Ja, die Ausgleichszulage ...

STANDARD: ... die eine Art Mindestpension garantiert ...

Raidl: ... ist sozusagen weiblich. Aber das ist ja auch gerade deshalb so, weil viele Frauen wegen des frühen Antritts gar nicht die Möglichkeit haben, sich eine ordentliche Pension zu erarbeiten.

Heinisch-Hosek: Nein, das liegt an den Lücken und Unterbrechungen in den Berufskarrieren – etwa wegen der Babypausen.

Raidl: Vier Jahre Kindererziehung werden ohnehin für die Pension angerechnet.

Heinisch-Hosek: Aber meistens bekommen die Frauen danach keinen Arbeitsplatz in der gleichen Qualität wie vorher. Viel zu wenige Männer gehen in Karenz – kein Wunder, wenn sie vom Arbeitgeber bedrängt werden.

Raidl: Auf Karenz gibt es doch einen Rechtsanspruch.

Heinisch-Hosek: Stimmt, aber die Männer trauen sich nicht, weil sie Angst um den Job haben. Es gibt noch viele solche ungelösten Vereinbarkeitsfragen. Zwei Drittel der Pflegearbeit machen wir, die Frauen! Auch deshalb arbeitet nahezu jede zweite Frau nur Teilzeit.

STANDARD: Aber ist das niedrige Pensionsalter statt einer Kompensation nicht viel eher ein weiterer Nachteil? Frauen entgehen dadurch doch gerade die fünf potenziell besten Verdienstjahre.

Heinisch-Hosek: Diese fünf besten Jahre existieren in der Realität selten. Frauen über 50 haben in aller Regel keine Karrierechancen.

Raidl: Weil das niedrige Pensionsalter eine massive Karrierebremse ist. Ob es sich um eine Juristin im Büro oder eine Meisterin im Stahlwerk handelt: Als Unternehmer werde ich zögern, eine 55-jährige Mitarbeiterin zur Chefin zu machen, weil sie mir dann ja nur mehr fünf Jahre bleibt.

Heinisch-Hosek: Wenn die Mitarbeiterin so gut ist, werden sie diese sicher mit dem entsprechenden Gehalt überreden können, länger zu bleiben. Kein Gesetz verbietet einer Frau, über die 60 Jahre hinaus zu arbeiten.

STANDARD: Viele können sich das aber nicht aussuchen, weil sie der Arbeitgeber zum erstmöglichen Zeitpunkt in den Ruhestand drängt. Spricht das nicht auch für ein höheres Pensionsalter?

Heinisch-Hosek: Nicht, wenn es um jene Frauen geht, für die ich mich besonders starkmache. Das sind jene, die in der Fabrik am Bandl arbeiten, im Handel Regale einräumen. 35 Prozent der Arbeitnehmerinnen gehen vorzeitig in Pension, weil sie ihren Job nicht mehr packen oder arbeitslos sind. Was erreichen wir, wenn wir diese Frauen später in Pension schicken wollen? Genau gar nichts außer längerer Arbeitslosigkeit. Die Frauenarbeitslosigkeit ist in den letzten zehn Jahren um zehn Prozent hinaufgeschnalzt – und sie würde mit einem höheren Pensionsalter weiter steigen.

Raidl: Vielleicht am Anfang. Doch das sind Probleme des Arbeitsmarktes, die wir mit einer wachstumsfreundlicheren Politik lösen müssen, aber nicht dem Pensionssystem anlasten dürfen. Ich habe auch einen Vorschlag, wie das Frauenpensionsalter ohne große Schmerzen angehoben werden kann. Statt – wie derzeit geplant – erst 2024 sollte das Alter bereits ab 2017 steigen, aber dafür nur um drei Monate pro Jahr.

Heinisch-Hosek: Ich bin auch dafür nicht zu haben. Die Frauen brauchen Sicherheit und müssen sich auf ihren Pensionsantritt einstellen können. Ich freue mich deshalb, dass die ÖVP dank des Widerstandes der SPÖ nun eingelenkt hat.

Raidl: Ich bin vom Umfaller der ÖVP enttäuscht: Hält sie ein höheres Pensionsalter wirklich für sinnvoll, darf sie nicht einfach so einknicken. Im öffentlichen Dienst gilt doch auch längst ein Alter von 65 – und Sie sind ja selbst Staatsbedienstete, oder?

Heinisch-Hosek: Richtig, und ich gehe mit 65 Jahren in Pension.

Raidl: Gott sei Dank, denn solche Leute wie Sie braucht man eh, sage ich ganz überparteilich. Was ich politisch aber nicht verstehe: Wieso ist ein höheres Pensionsalter für Staatsbedienstete kein Problem, für alle andere Arbeitnehmerinnen jedoch ein Tabu?

Heinisch-Hosek: Der Unterschied ist, dass die Gehaltskluft im öffentlichen Dienst mit weniger als zehn Prozent deutlich kleiner ist als in der Privatwirtschaft. Männer und Frauen im öffentlichen Dienst steigen mit den gleichen Gehältern ein.

Raidl: Auch aus der Sicht der Bildungsministerin müssten Sie mich unterstützen. Österreich gibt viel zu viel für vergangenheitsbezogene Ausgaben aus, für Staatsschuld, Zinsen, Pensionen, aber viel zu wenig für die Zukunft, also Forschung, Entwicklung und eben Bildung. Wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich mich beschweren, dass die steigenden Kosten für die Pensionen nicht eingedämmt werden.

Heinisch-Hosek: Sie versuchen jetzt die Bildungsministerin gegen die Frauenministerin in mir auszuspielen, aber da erhebe ich Einspruch! Die kolportierten Horrorzahlen, laut denen wir uns die Pensionen nicht mehr leisten können, sind allesamt falsch.

STANDARD: Laut der Prognose im Stabilitätsprogramm des Finanzministeriums, das der Schönfärbung wohl unverdächtig ist, sollen die gesamten Pensionskosten bis 2040 um 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen. Das klingt tatsächlich nicht nach jenem "Kollaps", vor dem jene Reforminitiative, für die Sie sich engagieren, in einer Presseaussendung warnt, Herr Raidl.

Raidl: Vor dem Kollaps steht das Pensionssystem sicher nicht, größer wird die Belastung für den Steuerzahler aber allemal. Natürlich könnten wir uns das leisten – aber dann fehlt uns eben Geld für Wissenschaft und Forschung. Das Ziel muss deshalb sein, den Zuschuss an Steuergeld ins Pensionssystem zu senken.

Heinisch-Hosek: Ich habe eine andere Idee: Eine kleine Gruppe von Leuten wird immer reicher, während auf der anderen Seite immer mehr Menschen von Armut bedroht sind. Führen wir zum Ausgleich doch Vermögenssteuern ein, um das Geld dann in die Bildung zu investieren.

Raidl: Sie wissen, ich bin nicht der wildeste Kapitalist in der ÖVP. Man kann über eine Erbschaftssteuer reden – aber nicht, wenn es darum geht, das Ausgabenproblem bei den Pensionen zu beheben. Ich muss bei den Leistungen eben so ansetzen, dass Einschnitte nicht zu Armut führen.

STANDARD: Putzen sich da Wirtschaftsvertreter nicht gerne ab, indem sie immer nur das Pensionssystem für die Versicherten verschärfen wollen, sich aber selbst gegen jeden Beitrag wehren?

Raidl: Ich sitze hier nicht als Vertreter der Wirtschaft. Für folgenden Vorschlag werde ich noch die Victor-Adler-Medaille bekommen: Geht ein Mitarbeiter in Frühpension, soll der Arbeitgeber einen Teil der Kosten übernehmen. Da werden die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung aufschreien, aber die Unternehmen nützen Frühpensionen nun einmal zu ihrem Vorteil aus. Ich kenne das, da gibt es oft ein Zusammenspiel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nach dem Motto: "Geh, versuch, dass du in Frühpension gehen kannst."

Heinisch-Hosek: Es ist ja ein Bonus-Malus-System geplant, das von uns aus gerne früher starten kann als erst 2018 ...

STANDARD: ... aber nur lächerlich geringe Pönalen vorsieht. Wird beim Pensionsgipfel der Bundesregierung am 29. Februar Substanzvolleres herauskommen?

Raidl: Ich sage Ihnen meine Prognose für den 29. Februar ...

Heinisch-Hosek: ... eine Arbeitsgruppe wird eingerichtet.

Raidl: So ist es, eine Arbeitsgruppe wird es geben, und ein Papier, in dem – wenn es hochkommt – in etwa so viel drinsteht: Diese und jene Punkte möge man bitte schön diskutieren. In Zeiten, wo von fünf Kandidaten für die Präsidentenwahl vier Pensionisten, eine Frau und drei Herren, sind, ist eine Pensionsreform tabu. (Gerald John, 20.2.2016)