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Visionärer Filmemacher und Grenzgänger: Andrzej Zulawski.

Foto: AP/MISHA JAPARIDZE

Warschau – Der Absurdität der Welt eine noch größere entgegensetzen: In seinem letzten Spielfilm Cosmos, der vergangenen Sommer im Wettbewerb des Filmfestivals von Locarno zu sehen war, schickte Andrzej Zulawski seinen Helden, einen Studenten mit stechendem Blick, als Untermieter in eine Familienpension. Was ihn dort erwartet, hat der Schriftsteller Witold Gombrowicz in seinem 1965 erschienenen Roman vorweggenommen: ein skurriles Szenario, in dem die Menschen so eigensinnig handeln, als hätten sie außer sich selbst nichts mehr zu verlieren.

Zulawski entwarf in seiner ersten Regiearbeit nach fünfzehn Jahren ein perfektes Figurenkabinett für die Leinwand: ein Dienstmädchen mit entstelltem Mund, eine in Starre verfallende Mutter, einen sich in Wortneuschöpfungen übenden Vater, eine die Sinne raubende, wunderschöne Tochter.

Auf das Werk des Exzentrikers Gombrowicz reagierte Zulawski mit jener Kompromisslosigkeit, die ihn immer auszeichnete – und sorgte für große Ratlosigkeit bei Publikum und Kritik. Doch seine Interpretation, in der sich die Dialoge in absurde Höhen schrauben, konnte man nur als verstörend empfinden, wenn man nicht bereit war, diesen sich konventionellen Spielregeln widersetzenden Figuren zu folgen. Begleitete man sie hingegen auf ihrer wahnwitzigen Reise, konnte man in ihnen die Sehnsucht nach radikaler Freiheit erkennen.

Geboren 1940 im sowjetisch besetzen Lwów, wuchs Zulawski in Paris auf, arbeitete später in Polen als Filmjournalist und als Assistent von Andrzej Wajda. Die Verbindung zum cinephilen Frankreich sollte für ihn jedoch zeitlebens bestehen bleiben: Als Der Teufel (1972) von der Zensur verboten wurde, kehrte er nach Frankreich zurück, um mit Romy Schneider das Dreiecksdrama Nachtblende (1975) zu drehen.

Es waren die Jahre, in denen das Kino von einem neuen Lebensgefühl durchdrungen war, das aber nach der Verwerfung des Bestehenden verlangte. Zulawski lotete diesen Paradigmenwechsel aus, indem er sich ebenfalls stets an Grenzen wagte: Mit seinem zensurierten Opus magnum Der silberne Planet (1977/87), einer Science-Fiction-Parabel über Kommunismus und Barbarei, oder mit Possession (1981), in dem Isabelle Adjani sich in mörderischem Wahn verliert; oder in Liebe und Gewalt (1985), den er mit seiner damaligen Ehefrau Sophie Marceau besetzte.

"Ich war der letzte Schüler der Dinosaurier, die ich verehrte", so Zulawski, "Bergman, Fellini, Kurosawa, Welles. Doch das Kino, das ich machen wollte, existiert nicht mehr." Das Kino, das er hingegen machte, erschuf eine Welt, in der man in die Abgründe der Gesellschaft blickte – und gerade deshalb den Blick auf sie schärfte.

Andrzej Zulawski starb am Mittwoch im Alter von 75 Jahren an einem Krebsleiden. (Michael Pekler, 17.2.2016)