Auf den ersten Blick scheint alles bestens. Electricité de France (EDF) will am Dienstag einen Reingewinn von fast zwei Milliarden Euro vorlegen. Der seit gut einem Jahr amtierende Konzernvorsteher Jean-Bernard Lévy kann zugleich einen Strompreis anbieten, der mit 17 Cents weiterhin bis zur Hälfte unter europäischen Vergleichspreisen liegt.

Trotzdem herrscht bei EDF Krisenstimmung. Sinkende Stromhandelspreise und die hohen Konzernschulden machen sich spürbar, ebenso wie ein massiver Finanzbedarf: Die EDF muss den gestrauchelten französischen Atomkonzern Areva mit schätzungsweise 2,5 Milliarden Euro retten; die Überholung des nicht eben taufrischen französischen AKW-Parks aus 58 Reaktoren kostet jährlich bald mehr als fünf Milliarden Euro; der neue Druckwasserreaktor EPR in der Normandie wird immer teurer; und der Bau von zwei EPR-Reaktoren in Hinkley Point (England) dürfte die Franzosen 18 Mrd. Euro kosten.

Der Nettogewinn brach 2015 um 68 Prozent auf 1,19 Mrd. Euro ein, wie das staatlich dominierte Unternehmen am Dienstag mitteilte. Abschreibungen gab es unter anderem auf Geschäftsaktivitäten in Großbritannien, Italien, Polen und Belgien.

Starker Wertverlust

Zum Vergleich: Die Börsenkapitalisierung von EDF beträgt heute weniger als 20 Mrd. Euro – nicht einmal 15 Prozent des Wertes vor acht Jahren. "Hinkley Point allein droht EDF den Garaus zu machen", meinte ein EDF-Gewerkschaftsvertreter auf einem Pariser Sender. Das Wirtschaftsblatt Les Echos "entdeckt staunend, dass das industrielle Flaggschiff EDF in großen Schwierigkeiten steckt."

Wie konnte es so weit kommen? Pariser Regierungskreise machen gerne die Energiepolitik der EU-Kommission und der deutschen Regierung verantwortlich: Da nur noch erneuerbare Energie subventioniert werde, sei es für die europäischen Konzerne nicht mehr möglich, in CO2-freie Energieträger wie Atomstrom zu investieren; das sei aber auch ökologisch fragwürdig, weil die Kohleproduktion rentabel bleibe.

Management-Fehler

Allerdings ist die französische Atomindustrie für den Großteil ihrer Mehrkosten selber verantwortlich. Die Bruchlandung Arevas erfolgte wegen gravierender, sehr teurer Fehlentscheide des Managements wie etwa beim Reaktor EPR in Olkiluoto (Finnland). Zudem mehren sich die Indizien, dass sich die staatlichen Verwaltungsräte Arevas bei dem desaströsen, womöglich betrügerischen Kauf einer afrikanischen Uranmine hatten täuschen lassen.

Die EDF-Spitzen und ihr staatlicher Hauptaktionär – der 85 Prozent der Anteile hält – suchen verzweifelt den rettenden Anker. Ein interner Sparplan gibt aber wenig her, der Verkauf von EDF-Anteilen in Italien oder Polen scheint unsicher. Das Mammutprojekt von Hinkley Point ganz oder teilweise aufzugeben, wäre aber ein Rückschlag für die gesamte französische Atomindustrie.

Preiserhöhung steht im Raum

Am Montag hieß es, EDF könnte als Ausweg eine Kapitalerhöhung von fünf Mrd. Euro beantragen. Die Regierung müsste zustimmen, denn die einzige Alternative wäre die Anhebung der Strompreise. Zur Kasse gebeten werden damit entweder Steuerzahler oder Konsumenten – und das sind in Frankreich angesichts des EDF-Monopols weitgehend dieselben. (Stefan Brändle aus Paris, 16.2.2016)