Auf Kos feuerten Polizisten Tränengas auf Menschen, die gegen einen Hotspot demonstrierten. Am Donnerstag soll in Brüssel die weitere Vorgehensweise in Sachen Flüchtlinge abgestimmt werden.

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Der kommende Donnerstag wird für den Koch des österreichischen Botschafters bei der EU in Brüssel zur wohl größten Herausforderung seines Berufslebens. Gegen zwölf wird die Ständige Vertretung in der Avenue Cortenbergh von Polizei und Militär hermetisch abgeriegelt werden. Dann fahren zwölf Regierungschefs vor.

Als Erster muss Bundeskanzler Werner Faymann kommen. Er ist Gastgeber bei einem "Gipfel der willigen Staaten", jener EU-Länder, die nach dem Scheitern einer gesamteuropäischen Lösung der EU-28 in der Flüchtlingskrise etwas weiterbringen wollen.

Neben ihnen wird auch der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu mit von der Partie sein: Seinem Land kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, den illegalen Strom der Flüchtlinge nach Griechenland zu stoppen oder zu verringern, wie im Herbst beschlossen. Einen Erstversuch hatte es auf Einladung Faymanns im Dezember gegeben. Der Koch, ein Belgier, hatte die hohen Gäste damals mit Sachertorte glücklich gemacht. Zwei Monate später geht es um die Wurst, eskalierte die Lage in Syrien, steht es in puncto Flüchtlinge Spitz auf Knopf.

"Wenn nicht sehr bald etwas Konkretes geschieht, droht die Union auseinanderzubrechen", warnt ein Diplomat im Vorfeld, "eine Zweiteilung gibt es schon."

Das mag einer der Gründe sein, warum bei "Faymanns Minigipfel" diesmal eine weitere politische Größe dabei sein wird: Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Er hatte sich beim letzten Mal noch durch einen Minister vertreten lassen. Diesmal ist er bereit, sich mit Davutoglu und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an einen Tisch zu setzen. Das Staatsoberhaupt wäre machtpolitisch in der Lage, die von Premier Manuel Valls erklärte Distanz zu Deutschlands Kurs aufzuheben.

Damit wäre das höchstrangige Trio beieinander, das am Ende über "Sein oder Nichtsein" aller Pläne entscheiden wird, wie bei Eurokrise und Griechenland. Die gute Frage, die sich in Brüssel viele stellen, lautet: Ist die Zeit schon reif dafür? Oder kulinarisch: Wird der Koch der Österreicher für die Nachspeis' ein Glas Champagner berücksichtigen müssen?

Der erste Schritt

Alle übrigen beteiligten Länder reden mit: die drei Beneluxstaaten, Finnland, Portugal, Schweden, Slowenien, Griechenland. Sie sind treue Kerneuropäer oder von der Flüchtlingswelle besonders betroffen, wollen Fortschritt.

In der EU-Kommission, deren Präsident Jean-Claude Juncker (neben Parlamentspräsident Martin Schulz) ebenfalls eingeladen ist, gibt man sich pessimistisch. Die "Gruppe der Willigen" bestehe in Wahrheit fast nur aus Merkel, die eine Lösung brauche.

Die Tiefstapelei ist nicht überraschend: Juncker und sein Team können schwer verkraften, dass der Plan einer fairen Aufteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten bisher gescheitert ist. Seit September wurden 497 von 160.000 Flüchtlingen regulär verteilt. Fast eine Million Menschen aber wanderten illegal nach Norden. Die Aufnahmezentren in Griechenland waren für Ende Dezember vereinbart. Vier der fünf sogenannten Hotspots seien mittlerweile bereit, Flüchtlinge zu registrieren, sagte Verteidigungsminister Panos Kammenos am Dienstag.

Verhandlungen mit der Türkei

Die EU-Kommission spielt eine wichtige Vermittlerrolle. Mittwoch wird es mit Vertretern Ankaras eine Runde geben, bei der konkret über die Verteilung von drei Milliarden Euro direkt an syrische Flüchtlinge in der Türkei verhandelt wird. Es geht um bessere Versorgung, Schulbildung für die Kinder etc.

Die türkische Seite zeigt sich optimistischer hinsichtlich eines Erfolgs beim Willigen-Gipfel. "Davutoglu ist dazu bereit", heißt es aus Verhandlerkreisen. Ankara drängt. Binnen zwei Wochen wurden 200 Schlepper verhaftet, die Zahl der Flüchtlinge geht seit Februar zurück. Im März könnte es eine Zypern-Lösung geben, im Mai einen Abschluss zur Visaliberalisierung, hoffen die Türken. Sie seien bereit und schon dabei, die EU-Außengrenze nach Griechenland besser zu schützen. Die EU-Partner müssten aber beginnen, syrische Flüchtlinge legal direkt von der Türkei zu übernehmen, "bis zu 250.000 pro Jahr, wenn der illegale Zustrom versiegt".

Aus EU-Kreisen heißt es, man müsse erst noch prüfen, ob die Zusagen wirklich halten. Dann könne eine Einigung verkündet werden. Dazu komme, dass Merkel Anfang März zwei wichtige Bundesländerwahlen abwarten müsse.

"Wir haben ein Henne-Ei-Dilemma", beschreibt ein Verhandler die Situation. Einer müsse den ersten Schritt machen, aber jeder taktiere und warte noch ab, was die andere Seite tue. Vielleicht ändert sich das ja beim Hauptgang. (Thomas Mayer aus Brüssel, 16.2.2016)