Tortoise im Regen, den Blick auf den weiten Horizont gerichtet. Am Dienstag gastiert die Postrock-Formation aus Chicago in der Arena.


Foto: Andrew Paynter

Wien – Die Zukunft von gestern sieht heute alt aus. Das ist immer so. Die US-Band Tortoise wurde Mitte der 1990er als Verkünder der Zukunft wahrgenommen. Als Wegbereiter einer neuen Musik, die den elementaren Mitteln und Botschaften des Rock 'n' Roll entsagte. Nicht Sex und Drogen waren Sehnsüchte, sondern die nobel anmutende Erhöhung des Rock unter Zuhilfenahme von Jazzattitüde und Instrumentalkunst, die die lendenzentrierte Rock'-n'-Roll-Predigt hintanstellte. Noch eine Tasse Tee, Douglas? Gerne, John.

Postrock wurde diese Musik damals genannt, so als hätte sie den gemeinen Rock überwunden, der zeitgleich mit Nirvana und dem Rest in den Mainsteam gespült wurde. Die heute in der Wiener Arena gastierenden Tortoise galten als Aushängeschild des Postrock.

Alben wie das 1994 erschienene Millions Now Living Will Never Die wurden von Geisteswissenschaftern des Spex wie das Neue Testament empfangen, und eben so blutleer mutete es im Vergleich zum Alten an. Da half der Bezug auf Can und Krautrock wenig.

Ein Eindruck, der sich bei der aus Chicago stammenden Formation live verstärkte, da wurde doch recht labormäßig Loungejazz nachgebaut, während das Publikum vor lauter Aufregung Pullover strickte. Tortoise und Mitglieder wie John McEntire oder Doug McComb wurden so etwas wie eine Keimzelle zart experimenteller Undergroundmusik aus Chicago – und haben nach sieben Jahren Veröffentlichungspause heuer das Album The Catastrophist veröffentlicht.

Das besitzt all die somnambulen Qualen und Qualitäten von damals, obschon die Instrumentalhypnose stellenweise von Stimmen unterbrochen wird, aber hallo.

Der von der befreundeten Band U.S. Maple bekannte Todd Rittmann erhebt auf dem Glamrockklassiker Rock On von David Essex seine Stimme – Ironiefähigkeit ist Tortoise nicht abzusprechen – und im hübsch abgebremsten Yonder Blue schmachtet Georgia Hubley von Yo La Tengo durch die Keyboardteppiche. (Karl Fluch, 15.2.2016)