"Ich bin 1994 in den Nationalrat gekommen und habe ein gegenüber Jörg Haider völlig sprachloses Parlament erlebt. Es ist ganz still, keiner macht einen Zwischenruf!"

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Er war langjähriger grüner Sozialsprecher und Betreiber des Rechtsextremen-Watchblogs "Stoppt die Rechten", bis er 2013 keinen aussichtsreichen Platz mehr auf der Grünen Liste bekam. Nun rückt er nach, wenn die vor ihm auf der Wiener Liste gereihte Nationalratsabgeordnete Daniela Musiol im Frühjahr ausscheidet. Im STANDARD-Interview erklärt Karl Öllinger, warum er glaubt, dass Parteien lernen müssen, anders zu kommunizieren.

STANDARD: Ihr Spezialgebiet ist der Rechtsextremismus. Hetze nimmt auch im Mainstream zu. Ist es zeitgemäß, sich auf Rechtsaußen zu konzentrieren?

Karl Öllinger: Ja und nein. Sie haben recht, dass sich das mittlerweile über die gesamte Gesellschaft ergossen hat. Aber andererseits gibt es allein im blauen Umfeld 40 bis 60 Facebook-Gruppen, die gut administriert sind und systematisch Hetze verbreiten.

STANDARD: Es gäbe weniger Hetze, würde die extreme Rechte sie nicht gezielt anstacheln?

Öllinger: Ja. Dazu kommt, dass die FPÖ, und mit ihr das Gros ihrer Wähler, sich weitgehend von den Medien und von einer sachlichen Auseinandersetzung verabschiedet. Ich habe auf Facebook einen Beitrag über die syrische Hungerstadt Madaya geteilt. Daraufhin schreibt mir eine Frau, das sei doch erfunden. Ich antworte: Entschuldigung, aber das wird von egal welcher Seite bestätigt. Sie darauf: Ich glaube das trotzdem nicht. Diese Frau ist nicht blöd, keine Rechtsextreme, aber sie ist nicht mehr erreichbar – sie glaubt nur noch was sie will.

STANDARD: Wenn viele den klassischen Medien nicht mehr glauben, wie muss sich die Kommunikation der Politiker ändern?

Öllinger: Das kann ich noch nicht beantworten. Die grüne Medienstrategie ist genauso wenig ausreichend wie die der anderen Parteien mit Ausnahme der FPÖ. Das ist ein katastrophales Hinterherhinken.Wenn Heinz-Christian Strache schreibt "Ich wünsche euch einen guten Sonntag", dann antworten 5000 Leute: "Danke, dass du MIR einen guten Sonntag gewünscht hast!" Das ist eine irrsinnig hierarchische Struktur. Wenn ich auf Facebook schreibe, ich wünsche euch einen guten Sonntag, dann sagen wahrscheinlich 90 Prozent der Leute: Lass mich in Ruh mit dem Schas.

STANDARD: Klingt da Neid durch?

Öllinger: Nein, das sind die Mühen der Ebene. Wenn Strache behauptet, eine Asylwerberfamilie bekomme so viel und eine österreichische Facharbeiterfamilie so viel weniger, dann sage ich: Lieber Strache, du kannst nicht eine Familie mit sechs Kindern mit einer Familie mit drei Kindern vergleichen. Gut, das hat er dann korrigiert. Wir haben vorgerechnet, dass auch das nicht stimmt, er hat es korrigiert. Aber das Interessanteste war: Als ich meine Reaktion gepostet habe, fragten viele: Woher hast du die Zahl? Einerseits ist das gut, die Leute sollen ja nicht fressen was ihnen der Öllinger erzählt. Andererseits ist es mühsam. Wir brauchen eine neue Kommunikationsstrategie, eine andere als die FPÖ – aber welche, weiß ich noch nicht.

STANDARD: Scheitert es auch daran, dass die Grünen zu wenig provozieren?

Öllinger: Es ist nicht die Zeit fürs Provozieren. Aber lassen Sie mich noch eines sagen: Ich bin 1994 in den Nationalrat gekommen und habe ein gegenüber Jörg Haider völlig sprachloses Parlament erlebt. Es ist ganz still, keiner macht einen Zwischenruf! Er konnte die widerlichsten Sachen behaupten, ohne dass jemand sagte "Das stimmt nicht". Ich habe mich bemüht, in anderen Parteien Parlamentarier zu finden, die ähnlich ticken. Dann hat es geklappt mit der Gegenwehr.

STANDARD: Sie werden nun wieder Verbündete in SPÖ und ÖVP suchen?

Öllinger: Versuchen werde ich es, aber es wird schwieriger. Es gibt diese Leute, ich weiß nicht, warum sie schweigen. Das Land steuert auf die Wiederauflage von Schwarzblau zu, und die SPÖ läuft der ÖVP in der Asylpolitik nur noch hinterher.

STANDARD: Die Grünen kritisieren Obergrenzen, Zäune – aber wo ist die eigene, grüne Vision?

Öllinger: Die fehlt mir manchmal auch. Das ist nicht nur ein Vorwurf, ich kenne den politischen Alltag, man kommt aus dem Reagieren oft nicht raus. Wir leben in einer erstarrten politischen Kultur, das Verhältnis Regierung-Opposition ist ritualisiert. Man diskutiert nicht mehr, sondern sagt nur noch: Der Vorschlag kommt von denen, also ist er gut, oder von denen, also ist er schlecht. Tödlich.

STANDARD: Welches Thema wollen Sie im Grünen Klub übernehmen?

Öllinger: Ich strebe keine Sprecherrolle an, bemühe mich aber wieder im Sozialausschuss zu sein. Zwei Jahre, kein interner Wiederwahlkampf – befreiend.

STANDARD: Also ein klar auf zwei Jahre befristeter Wiedereinstieg?

Öllinger: Das soll man nie sagen. Aber es ist realistisch.

STANDARD: Bei der letzten Wahl hat die Partei Sie übergangen, sie fanden keinen aussichtsreichen Platz auf der Liste. Was sagt das über den Status antifaschistischer Politik bei den Grünen aus?

Öllinger: Die Grünen haben mich 19 Jahre lang im Nationalrat arbeiten lassen, eine lange Zeit. Ich dachte: Entweder schätzen sie meine Arbeit, oder sie lassen es bleiben. Das Kalkül ist nicht aufgegangen. Natürlich erwarten auch wohlmeinende Grüne, dass man an innerparteilichen Wahlkämpfen teilnimmt. Der interne Kampf ist in den ersten vier Jahren milder als in anderen Parteien, im fünften Jahr aber brutaler.

STANDARD: Also eher ein Kampf der Gesichter als der Inhalte?

Öllinger: Das werden alle abstreiten, aber natürlich geht es auch um Gesichter. Ich war dafür zu müde – jetzt weiß ich, es war der Krebs, der mich müde gemacht hat. Andererseits wollte ich auch nicht kämpfen. Ich dachte: Wird die Arbeit wertgeschätzt, ja oder nein? Man könnte sagen, sie wurde nicht wertgeschätzt, aber das würde ich nicht gelten lassen: Die Grünen haben sich dann ja bemüht, "Stoppt die Rechten" weiterzuführen.

STANDARD: Wie finden Sie es, dass die grüne Basis nicht über die Kandidatur Alexander Van der Bellens abstimmen durfte?

Öllinger: Ich habe das Wording "unabhängiger Kandidat" vielleicht extrem gefunden. Andererseits sage ich aus Kenntnis Van der Bellens, dass es wohl keinen unabhängigeren Kandidaten gibt als ihn. Alles wissen, dass er weitab von Parteiwordings agiert. Und ich glaube es gibt auch niemanden bei den Grünen, der die Kandidatur an sich kritisiert.

STANDARD: Die Jungen Grünen haben ihn als zu neoliberal bezeichnet.

Öllinger: Diese Kritik verkennt ihn. Er war nie ein Dogmatiker. Auch in Sozialfragen, wo er mich manchmal gezwungen hat, detailliert Antworten zu geben, waren das oft lange Diskussionen.

STANDARD: Es war also auch eine Art Vorsichtsmaßnahme, ihn als Unabhängigen zu präsentieren – weil er unberechenbar ist?

Öllinger: Ich weiß nicht, was die Überlegung war, aber "Vorsichtsmaßnahme" gefällt mir nicht schlecht.

STANDARD: Sie wissen es nicht, wurde das nicht breit diskutiert?

Öllinger: Wenn du draußen bist aus dem Klub, bist du aus allen Kanälen draußen. Es wurde dann bis in die Ortsgruppen kommuniziert, aber ich war ja auch einige Zeit weg. Aber ich war lang genug in Gremien – es geht mir nicht ab. (Maria Sterkl, 13.2.2016)