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"Übermedien.de" heißt das Portal, mit dem Boris Rosenkranz (links) und Stefan Niggemeier Medien auf den Zahn fühlen.

Foto: Jan Zappner / übermedien.de

Wien – Mit Getöse ist Stefan Niggemeier als "Bildblog"-Gründer nicht selten aufgetreten, als er Axel Springers Boulevardblatt "Bild" kritisierte. Heute schlägt er leisere Töne an: "Vieles ist lautstark, teilweise hysterisch", sagt der Journalist und meint kritische Auseinandersetzung mit Medien und ihren Inhalten. Entweder finde sie hyperventilierend über Social Media statt oder eben gar nicht, weil Verlage das Thema "stiefmütterlich" behandeln: "Was fehlt, ist gute Medienkritik, die zwischen den Stühlen sitzt."

Um diese "unideologisch und fundiert" zu liefern, hat Deutschlands bekanntester Medienjournalist gemeinsam mit dem NDR-Redakteur Boris Rosenkranz das Portal übermedien.de gegründet.

Abomodell zum Start

Das ambitionierte Projekt betreiben sie in Eigenregie – ohne potenten Verlag im Rücken und mit Unabhängigkeit als Credo. Das soll sich auch nicht ändern, versichert er: "Den Einstieg eines Verlages schließe ich aus." Für die Finanzierung soll ein Abomodell sorgen. Kostenpunkt? 3,99 Euro monatlich.

"Die Resonanz ist gut, die Abonnentenzahlen wachsen kontinuierlich", sagt Stefan Niggemeier zum STANDARD, ohne einen Monat nach Start des Portals Zahlen nennen zu wollen. Ein Businessplan existiere nicht, auch kein genauer Zeitrahmen, bis wann übermedien.de Profit abwerfen soll. Bei einer Gebühr von 3,99 Euro monatlich brauche es "schon mehrere Tausend Abonnenten", um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. "Optimistisch", aber nicht hundertprozentig überzeugt, wirken dabei die Initiatoren, denn Niggemeier arbeitet weiter als freier Journalist für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Rosenkranz für den NDR. "Wir können und wollen nicht gleich alle Brücken zu unseren Auftraggebern abreißen."

Weitere Erlösquellen möglich

Um mit dem Portal den Spagat zwischen Zahlenden und Reichweite zu schaffen, sind Artikel nach sieben Tagen kostenlos. Die Finanzierung sieht Niggemeier nicht dogmatisch. Sprich: Parallel zu Aboerlösen kann er sich später Einzelverkauf der Artikel vorstellen, ein Spendenmodell oder den Einsatz von "dezenten Werbeformaten", aber: "Im Kern wollen wir von unseren Lesern leben, das ist die Grundidee".

Um das zu realisieren, decken die Medienjournalisten mit einigen freien Autoren etwa "regierungsfreundlichen" Journalismus im ZDF auf, interviewen ARD-Talkerin Anne Will und Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, beschäftigten sich aber auch via Kreischvideo mit der RTL-Kuppelsendung Der Bachelor. Aufdeckerjournalismus paart sich sozusagen mit Trash, wobei Ersteres thematisch eindeutig dominiert. Im Vordergrund soll der Hintergrund stehen: "Wir wollen schon aktuell sein, haben aber nicht den Druck, der Erste sein zu müssen, sondern später orginelle Gedanken zu bringen."

Die technische Abwicklung des Abomodells erfolgt über den niederländischen Digitalkiosk Blendle, bei dem wiederum Lieblingsfeind Axel Springer als Investor an Bord ist. Im Leben sieht man sich nicht selten zweimal – mindestens. Für Niggemeier ist das kein Problem, denn: "Wir haben Blendle als sehr unabhängig erlebt, auch gegenüber Bild, als es um Zugeständnisse ging und die gesagt haben: Nein, das machen wir nicht." Schließlich halte nicht nur Axel Springer Anteile an Blendle, sondern auch die New York Times: "Eine Super-Adresse."

Antreten gegen "Lügenpresse"

Mit übermedien.de möchten die Journalisten der "Vertrauenskrise" zwischen Medien und Lesern ein Stück entgegentreten, sagt Niggemeier. Ein eigenes Ressort nennt sich "Lügenpresse". Jenem Schlagwort, mit dem Medien in Deutschland vor allem von rechten, islamfeindlichen Bürgern diskreditiert werden. Einen Grund für diese Eskalation sieht er im "jahrzehntelangen" Versäumnis, Medienkritik zu pflegen. Dazu gehöre auch "Selbstkritik".

An den Landesgrenzen Halt machen will Niggemeier nicht: "Der Blick geht auf den deutschsprachigen Raum." Ob gar ein eigener Österreich-Korrespondent einmal zur Option wird? "Wir haben viele Ideen und Träume, das könnte dazuzählen." (Oliver Mark, 11.2.2016)

Update: Übermedien.de gibt Abonnentenzahl bekannt