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Das Gebäude der Handelskammer in der Hauptstadt Sanaa wurde durch einen Luftangriff zerstört.

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Khamis-Mushayt-Airbase, November 2015: frische Bomben für die saudische Luftwaffe.

Foto: APA/AFP/FAYEZ NURELDINE

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Die Luftschläge treffen auch Autobusse.

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Von den westlichen Medien weitgehend unbeachtet bombardiert eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition seit über zehn Monaten Rebellen im den Jemen. Ein bericht an den UN-Sicherheitsrat erhabt Vorwürfe gegen beide Konfliktparteien. Amnesty-Krisenbeauftragte Donatella Rovera sprach mit Bert Eder über ihre Erfahrungen im Land und westliche Unterstützung für die Luftangriffe.

STANDARD: Nur wenige westliche Ausländer reisen in den Jemen. War es schwierig hinzukommen?

Rovera: Schon ein bisschen. Man braucht ein Visum der Saudis, weil die Flüge von dort ausgehen, die Saudis überprüfen die Passagierliste.

STANDARD: Wie lange waren sie dort, welche Regionen haben Sie bereist?

Rovera: Ich war im Sommer einen Monat lang dort, die Reise führte mich sowohl in den Norden als auch den Süden des Landes. Reisen im Inland sind schwierig zu organisieren, NGOs wie Ärzte ohne Grenzen fliegen für Einsätze entweder direkt in den Norden oder nach Aden. Wir haben die Strecke mit dem Auto bewältigt und waren gerade in Aden, als Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate die Stadt von den Huthi-Rebellen eroberten.

STANDARD: Warum erreichen uns im Gegensatz zum Konflikt in Syrien kaum Nachrichten über Kämpfe im Jemen? Von dort gibt es tägliche Aussendungen über Luftschläge der US-geführten Koalition, zahlreiche Bürgerjournalisten berichten in sozialen Medien über die Ereignisse …

Rovera: Ausländische Journalisten gibt es kaum im Jemen. Außerdem dauert der Konflikt in Syrien bereits lange an. Als ich 2012 mehrmals dort war, gab es auch kaum Berichte. Mittlerweile haben ausländische Journalisten Kontakte aufgebaut, um an Informationen zu kommen. Jemen war nie ein großes Thema in der westlichen Berichterstattung. Außerdem fehlt der Presse eine wichtige Quelle: Tausende Flüchtlinge aus Syrien können ihre Geschichten erzählen, während die Bewohner des Jemen keine Möglichkeit zur Flucht haben. Nach Saudi-Arabien, also in das Land, das sie bombardiert, können und wollen sie nicht flüchten, außerdem ist die dortige Medienlandschaft nicht wirklich erwähnenswert. Manche schaffen es in Booten nach Dschibuti, wo die Lebenskosten aber extrem hoch sind. Oman wäre sicher, aber dafür müsste man den ganzen Jemen durchqueren, also auch Gebiete, die von den Jihadistengruppen Al Kaida und IS kontrolliert werden.

Außerdem können sich viele eine solche Reise nicht leisten. Die Bevölkerung leidet also unter der Blockade und dem Bombardement, kann aber nicht fliehen.

STANDARD: Ein kürzlich an die Öffentlichkeit gelangter Bericht an den UN-Sicherheitsrat wirft allen Konfliktparteien vor, Hunger als Mittel der Kriegsführung einzusetzen und bemerkt, dass "keine einzige humanitäre Kampfpause eingehalten" wurde. Rechnen Sie damit, dass der Sicherheitsrat deshalb aktiv wird?

Rovera: Die aktuelle Sicherheitsrats-Resolution zum Jemen unterstützt ganz klar eine Konfliktpartei und rechtfertigt den Krieg. Die sogenannte "international anerkannte Regierung" Präsident Hadis genießt wohl mehr Unterstützung bei den Personen, die für diese Resolution gestimmt haben, als im eigenen Land: Sein Mandat ist abgelaufen, er wurde als einziger Kandidat gewählt. Die Internationale Gemeinschaft ist, was den Schutz der Zivilbevölkerung im Jemen betrifft, grandios gescheitert.

Alle Konfliktparteien sind für zivile Opfer verantwortlich, aber die meisten Toten fordern die Luftangriffe der saudi-geführten Koalition. Artilleriegranaten oder -raketen zerstören vielleicht ein Haus, aber eine 500 oder 1.000 Kilo schwere Bombe richtet einen viel größeren Schaden an. Sowohl EU-Mitgliedstaaten als auch die USA unterstützen diese Bombardements – 99,9 Prozent der Geschoße und Bomben, die ich im Jemen gesehen habe, stammten aus US-Fertigung, darunter auch international geächtete Streubomben. Berater aus den USA und möglicherweise auch aus Großbritannien stehen der Koalition bei der Zielauswahl zur Seite. Bereits vor dem Krieg war Jemen von Lebensmittelimporten abhängig, weil dort fast nichts produziert wird – durch die Blockade gibt es praktisch keine Lieferungen aus dem Ausland mehr, die Wirtschaft steht still. Schon vor dem Konflikt hatte die Bevölkerung einen viel niedrigeren Lebensstandard als etwa die Syrer oder die Iraker, seitdem hat sich die Situation drastisch verschlechtert.

STANDARD: Es gibt Berichte über Munitionslieferungen aus Brasilien, im Jänner verunglückte eine Frachtmaschine vom Typ Boeing 747, die mit 100 Tonnen 500-Kilo-Bomben aus Belarus beladen war, beinahe bei der Landung auf der Abha King Khalid Airbase. Geht den Saudis die Munition aus?

Rovera: Ich bin da skeptisch. Der Großteil des Kriegsmaterials, das wir im Jemen gefunden haben, war ziemlich alt, bis auf eine Streubombe stammte alles aus den 70er- und 80er-Jahren. Das in letzter Zeit angeschaffte Material wurde also offenbar eingelagert. Man weiß recht wenig über die Waffenbestände der Koalitionsmitglieder, aber wenn man das Ausmaß der Bombardements betrachtet, besteht kein Mangel. Ein Großteil der Luftangriffe ist militärisch betrachtet sinnlos, sie treffen Wohnhäuser, Geschäfte, Fabriken oder Moscheen.

STANDARD: Was sagen Sie dazu, dass die Präsidentengarde der Vereinigten Arabischen Emirate, die im Jemen kämpfen soll, von einem australischen General befehligt wird? Natürlich konnte Mark Hindmarsh das nicht voraussehen, als er 2010 das lukrative Angebot annahm, die Emirate hatten sich zu diesem Zeitpunkt an keinen kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt …

Rovera: Das kann ich nicht beantworten, die Verantwortung liegt bei der Regierung der Emirate, wen immer sie beschäftigt. Es gibt auch Kämpfer aus Lateinamerika im Jemen. Sowohl die Emirate als auch Bahrain, Katar und mehrere andere Staaten haben anfangs bestritten, Bodentruppen im Jemen zu haben, solche Sachen erfahren wir oft nur durch Todesanzeigen in den Zeitungen, die Koalition selbst veröffentlicht praktisch keine Informationen.

Dass Marokko beteiligt ist, erfuhren wir erst, als ein Pilot getötet wurde, sogar sudanesische Streitkräfte wurden gesichtet: die UN unterstützen also eine Koalition, an der ein Land beteiligt ist, gegen dessen Präsidenten es eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof gibt und gegen das ein Waffenembargo besteht – so verrückt ist der ganze Einsatz! Solange keine konkreten Kriegsverbrechen-Vorwürfe gegen den Australier vorliegen, drohen ihm wohl keine Konsequenzen. Generell ist es kaum möglich festzustellen, wer für Luftangriffe verantwortlich ist. Wir erfahren nicht, welchem Land das Flugzeug gehört, das die Bombe abwarf, die ein bestimmtes Haus zerstört hat – die Koalition veröffentlicht solche Informationen nicht.

STANDARD: Die Saudis unterstützen die international anerkannte Regierung – welche Rolle spielt Ihrer Ansicht nach Iran in diesem Konflikt?

Rovera: Das weiß ich nicht. Im Gegensatz zum Irak oder zu Syrien, wo iranische Rüstungsgüter und wiederholt auch hochrangige Militärvertreter wie Qassem Soleimani, der Kommandeur der al-Quds-Einheit, gesehen wurden, haben wir im Jemen keine solchen Beobachtungen gemacht. Das Land steht unter Belagerung durch die saudi-geführte Koalition, was Waffenlieferungen zusätzlich erschwert …

STANDARD: Der UN-Bericht erwähnt, dass an Bord eines Fischerbootes "Konkurs"-Panzerabwehrraketen mit iranischen Beschriftungen entdeckt wurden, die offenbar für die Huthis bestimmt waren …

Rovera: In solch kleinem Maßstab kann das durchaus sein, aber große Lieferungen können weder auf dem Luft- noch auf dem See- oder dem Landweg erfolgen.

STANDARD: Laut UN-Bericht bombardiert die Koalition Zivilisten und Flüchtlingslager. Den Huthis wird vorgeworfen, afrikanische Migranten und Flüchtlinge als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Am Ende steht die Forderung nach einer internationalen Untersuchungskommission. Gibt es Hoffnung, dass eine solche in absehbarer Zeit eingerichtet werden könnte?

Rovera: Das wär zu begrüßen. Der Großteil der Zivilisten wird allerdings von der Koalition getötet, manche auch von den Huthis. Die Koalition hält das ganze Land in einem Belagerungszustand, die Huthis verfolgen Menschen, die sie kritisieren, nehmen willkürliche Verhaftungen vor und blockieren Lebensmittellieferungen für Städte wie Tai´iz, wie unser Bericht kritisiert. Es gibt keine Guten in diesem Krieg. Wenn eine Seite weniger Schäden anrichtet, bedeutet dies nur, dass sie nicht über die dafür erforderlichen Mittel verfügt. (Bert Eder, 9.2.2016)