Onlineforen geben Einblick in Meinungen, die den aktuellen Diskurs beherrschen.

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Posten ist nicht jedermanns Sache. Sich online in Diskussionen zu verstricken, Argumente auszutauschen und Emotionen in Schach zu halten erfordert nicht nur viel Zeit, sondern manchmal auch viele Nerven. Nicht zuletzt ist es eine Überwindung, sich öffentlich einem Diskurs zu stellen, selbst unter Pseudonym.

Dementsprechend steht einer Minderheit an Postern eine Mehrheit von ausschließlich lesendem Publikum gegenüber: Postings werden gelesen und reflektiert, aber nicht beantwortet. Foren können damit nur bis zu einem bestimmten Grad die Gesellschaft abbilden. Sie geben jedoch einen Einblick in die Meinungen, die den aktuellen Diskurs beherrschen. Als wir zuletzt gefragt haben, warum Postings auf derStandard.at gelesen werden, merkte etwa ein User an, dass die Foren als eine Art Stimmungsbarometer gelten.

Was zeichnet nun die aktuelle Stimmung aus? Wie sollte eine Diskussion verlaufen, und wie steht es allgemein um die Qualität der Diskussion in den Foren?

Wenn Meinungen eingeordnet werden

Wer länger in Onlineforen unterwegs ist, stolpert früher oder später darüber: den Nazi-Vergleich. "Godwin's Law", wonach mit zunehmender Dauer von Diskussionen die Wahrscheinlichkeit steigt, dass jemand einen Nazi-Vergleich einbringt, bestätigt sich immer wieder.

Sprache und Wortwahl sagen dabei viel über eine Diskussion aus: Wer in den Foren kein "Nazi" ist, wird womöglich als "linkslinker Gutmensch" oder als "islamophob" klassifiziert. Denn wer Meinungen anderer einordnet, der urteilt schnell, manchmal auch zu schnell. Gerade wenn es um Themen wie Flüchtlingskrise geht, beherrschen (vermeintliche) Extreme das Feld. Besonders hier gibt es eine starke Bipolarität: Der einen Gruppe wird grenzenlose Naivität vorgeworfen, die andere wird als rechtsextrem eingestuft. Zwischen diesen beiden Polen, so scheint es auf den ersten Blick, gibt es zwar Grautöne, die aber eher im Hintergrund wahrgenommen werden.

Dieser Eindruck mag allerdings auch täuschen. Sehr oft sind es nämlich nicht die Diskussionen selbst, denen es an Differenzierung mangelt, sondern die Einordnungen durch andere User – ein Phänomen, das öfters direkt angesprochen wird:

Sachargumente haben keine Chance auf eine konstruktive Diskussion, wenn die Verfasser dieser Postings von anderen in eine Schublade gesteckt werden. Nicht selten wehren sich User gegen Vorverurteilungen durch andere Poster, die konstruktive Diskussionen hemmen und Argumentationen keinen Raum mehr lassen:

Wer von einem anderen User vorverurteilt wird, dessen Argumente werden von vornherein abgelehnt und nicht reflektiert. Vorverurteilungen sind allerdings nicht nur in den Foren präsent, sondern in den gesellschaftlichen Kontext eingebunden und als solche eine Folge einer neuen, aufstrebenden Art der politischen Korrektheit.

Kritik kaum geäußert

So sieht der Psychologe und Philosoph Carlo Strenger nach den Anschlägen auf Paris eine bedenkliche Entwicklung im politischen Diskurs: "Vor allem die politische Linke scheut jedoch davor zurück, Klartext zu sprechen, weil sie Vorwürfe der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus befürchtet. Wir machen auf diese Weise unsere Kultur kaputt", sagte er in einem STANDARD-Interview.

Auch der Integrationsexperte Kenan Güngör spricht von der "ausgeprägten Tendenz, jede auch konstruktiv gemeinte Kritik mit dem Begriff 'Islamophobie' zu diskreditieren". Er sieht dabei eine "Paradoxie, dass ein beachtlicher Teil selber religiös-nationalistischen Parteien in Ursprungsländern nahesteht, hier aber unter Anwendung linksliberaler Positionen und Rhetorik jede humanistische Kritik ins rechte Eck gestellt wird".

Politisch korrekt – falsch verstanden?

Wie weit diese neue politische Korrektheit geht, zeigt der Fall in Rotherham in Mittelengland: Zwischen 1997 und 2013 wurden dort 1.400 Kinder von britisch-pakistanischen Banden systematisch missbraucht und sexuell versklavt. Die Polizei verschleierte das Ausmaß des Missbrauchs: Obwohl von der Mehrheit der Täter bekannt war, dass sie asiatischer oder pakistanischer Herkunft sind, hatten Mitarbeiter der Behörde die Vorfälle aus Angst, als "Rassisten" angesehen zu werden, nicht kommuniziert. Der Gründer der britischen muslimischen Jugend, Muhbeen Huassain, kritisierte die Tabuisierung der Vorkommnisse: "Die Tatsache, dass die Täter hauptsächlich Pakistaner waren, sollte kein Grund sein, darüber zu schweigen."

Dieser neue Trend führt auch an britischen Universitäten wie Oxford zu massiven Problemen: Professoren wandten sich kurz vor Weihnachten an die Medien und sprachen von einer Kultur, die den freien Austausch von Ideen beschränke, die Selbstzensur fördere und Menschen Angst davor mache, ihre Meinung zu äußern. Studenten beschimpften Professoren als "Islamhasser" und "Rassisten", forderten ein "Redeverbot" für als "transophob" klassifizierte Diskutanten. Politische Debatten mussten an geheime Orte verlegt werden, weil die Redner im Vorfeld als "Vergewaltigungsverteidiger" ausgebuht wurden. Es solle ein "safe space" geschaffen werden, eine Art Schutz- und Sicherheitsraum, fordern die Studenten, ein "Recht auf Behaglichkeit".

Eine falsch verstandene politische Korrektheit hemmt einerseits die Diversität in einer Diskussion und fördert andererseits den Nährboden für rechtsextreme Parteien. Diese wissen die Stimmung für sich zu nutzen. So beklagte die FPÖ-Abgeordnete Susanne Winter nach der Kritik an einer antisemitischen Äußerung den "Dreschflegel der politischen Korrektheit". Das Postingverhalten in den Foren ist auch ein Resultat des gesellschaftlichen und politischen Diskurses.

Glaubwürdige Medien

Nicht zuletzt hängt die Qualität der Diskussion vom Artikel ab, der den Input für das Forum liefert. Dabei geht es auch um Glaubwürdigkeit. Rund um die Ereignisse in Köln standen viele Medien in der Kritik, zu wenig oder verharmlosend berichtet zu haben. So meinte Frank Lübberding in der "FAZ": "Wenn man wie in Köln ein Problem mit jungen Arabern hat, muss man das deutlich machen. Probleme mit Neonazis ebenso. Aber stattdessen thematisieren ARD und ZDF lieber ihr Misstrauen gegenüber den eigenen Zuschauern." Und der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur Georg Mascolo ortet einen stetigen Verlust der Glaubwürdigkeit bereits seit einigen Jahren.

Worüber und wie berichtet wird, erfordert viel Reflexion, die nicht nur intern, sondern auch den Lesern kommuniziert werden sollte. DER STANDARD veröffentlichte erst kürzlich interne Diskussionen rund um die Frage der Berichterstattung und der Glaubwürdigkeit: Soll die Herkunft Krimineller genannt werden oder nicht? Diese offene Auseinandersetzung mit dem Thema wurde von den Lesern positiv aufgenommen.

Wie empfinden Sie die Diskussionskultur?

Die Art, wie diskutiert wird, ist nicht nur eine Reaktion auf den Inhalt des Artikels, auf seine Qualität und die dahinterliegende Recherche. Debatten, nicht nur online, reflektieren gesellschaftliche Trends.

Wie empfinden Sie allgemein die Qualität und die Argumente, wie sollte eine Diskussion geführt werden, damit sie auch interessant ist? Haben sich die Argumentationslinien in den vergangenen Jahren verändert? Gibt es Unterschiede zwischen den Foren und persönlichen Gesprächen? Waren Sie schon einmal in der Situation, dass Sie in Schubladen gesteckt wurden, in die Sie nicht gehören? Wie extrem empfinden Sie die Diskussionen, und wo liegen die Gründe dafür? (Sophie Niedenzu, 22.2.2016)