Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sieht den türkischen Premier Ahmet Davutoğlu (Bild) als direkten Verhandlungspartner an und nicht Präsident Tayyip Erdoğan.

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Früher war es einmal die deutsch-französische Vertrautheit. Kein Blatt passt zwischen den deutschen Kanzler und den französischen Präsidenten, hieß es dann jahraus, jahrein über die Achse Bonn–Paris und später Berlin–Paris. Jetzt, im Zeichen der Flüchtlingskrise, sieht es eher nach deutsch-türkischer Innigkeit aus. Fünf Mal in ebenso vielen Monaten haben sich Angela Merkel und ihr Amtskollege Ahmet Davutoglu nun seit dem Oktober vergangenen Jahres getroffen, die Syrien-Geberkonferenz in London Anfang Februar nicht mitgerechnet.

Zwischen beiden Seiten ist aber Platz für weit mehr als ein Blatt Papier, wenn es um die Erwartungen geht, welche die Kanzlerin, stellvertretend für die anderen in der EU, an die Türkei hat. Doch in Ankara bemühten sich Merkel und der türkische Regierungschef Davutoglu am Montag, Einverständnis zu zeigen. Die Türkei werde nicht allein die Bürde der syrischen Flüchtlinge tragen, sagte Davutoglu ohne Umschweife. "Wir wollen uns die Aufgabe teilen", verkündete die Kanzlerin.

Rolle der Nato bei "Überwachung der Situation"

Beide Seiten wollen außerdem die Nato in den Kampf gegen Schlepper in der Ägäis einbinden. Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in dieser Woche müsse erörtert werden, "inwieweit die Nato bei der Überwachung der Situation auf See hilfreich sein kann", sagte Merkel.

Wenigstens 30.000 Menschen warteten am Nachmittag auf Einlass am Grenzübergang Öncüpinar, in Richtung Kilis und Gaziantep im Süden der Türkei; eine Million könnte es am Ende noch werden, wenn die Angriffe der Russen und der syrischen Regierungstruppen auf Aleppo weitergehen, so prophezeite ein türkischer Minister. 2,5 Millionen Syrer hat die Türkei seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 bereits aufgenommen.

Gemeinsam gegen den Kreml

Der türkische Premier machte auch schnell die Russen für die neue Flüchtlingswelle verantwortlich. Sein Gast aus Berlin zeigte sich ebenso "entsetzt" über die russischen Bombenangriffe.

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit der Türkei, die einen Plan für "Flüchtlingskontingente" in der EU ausarbeiten soll, ist noch eines der konkreteren Ergebnisse der neuerlichen Unterredung von Merkel und Davutoğlu. Eine "Gruppe der freiwilligen Länder in der EU", wie die Kanzlerin es formuliert, sei bereit, auf diesem Weg schneller voranzugehen. Wenn man von der Türkei erwarte, dass sie die illegale Migration bekämpfe, dann müsse man auch legale Wege nach Europa für Flüchtlinge schaffen, argumentiert Angela Merkel.

EU-Geld soll Schulunterricht finanzieren

Auch über die Verwendung der drei Milliarden Euro soll nun rasch in einer gemeinsamen Runde in Brüssel entschieden werden. Es ist Geld für die syrischen Flüchtlinge, nicht für die Türkei, stellte Davutoğlu in der gemeinsamen Pressekonferenz klar. Schulunterricht für Flüchtlingskinder in der Türkei soll damit unter anderem finanziert werden. Von den fünf Milliarden Euro Hilfe, die Ankara angeblich mittlerweile will, ist nicht die Rede.

Doch es wird deutlich, dass es nicht das einzige Fass bleibt, das die EU für die Türkei aufmacht, um den Ansturm der Flüchtlinge zu bremsen. "Jetzt geben wir das Geld aus", sagt Merkel über die drei Milliarden, über die es nun endlich Einigung gibt in der EU: "Wenn's alle ist, können wir neu darüber sprechen."

Mindestens 38 Flüchtlinge ertrinken an diesem Tag wieder in der Ägäis. Die türkische Küstenwache kommt zu spät, um das Kentern zweier Schlauchboote vor Dikil und Altinoluk auf dem Weg nach Lesbos zu verhindern.

Merkel hält sich wie schon bei ihrem Arbeitstreffen in Istanbul im vergangenen Oktober strikt an die türkische Verfassung und sieht Premier Davutoğlu als ihren direkten Gesprächspartner, nicht Staatspräsident Tayyip Erdoğan, den sie später am Nachmittag besucht und der in Wahrheit alle wichtigen Entscheidungen an sich gezogen hat. In Deutschland wie auch in der Türkei wird sie von den jeweiligen Oppositionsparteien für den Besuch kritisiert. Medien- und Meinungsfreiheit in der Türkei sind mittlerweile arg beschnitten. Die Kanzlerin sollte das thematisieren, so wird gefordert.

Für den Chefredakteur von "Cumhuriyet", der wichtigsten türkischen Oppositionszeitung, und dessen Ankara-Bürochef fordert die Staatsanwaltschaft nun lebenslange Haft. (Markus Bernath, 9.2.2016)