David Müller von der Anti-Doping-Agentur: "Es gibt sicherlich Fälle, in denen rezeptpflichtige Schmerzmittel sehr schnell verschrieben werden. Dabei werden die Nebenwirkungen oft unterschätzt."

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Romed Baumann bei der Abfahrt in Kitzbühel.

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STANDARD: Schmerzmittel gehören im alpinen Weltcup zur Ausrüstung wie Helm und Skibrille. Warum stehen sie nicht auf der Dopingliste?

Müller: Es wird immer wieder überlegt, Analgetika in die Verbotsliste aufzunehmen. Drei Kriterien sind entscheidend: die Leistungssteigerung, die Gesundheitsschädigung und der Verstoß gegen den Sportsgeist. Wenn zwei Kriterien erfüllt sind, wird eine Aufnahme in Betracht gezogen.

STANDARD: Schmerzfrei ist man leistungsfähiger. Das scheint dem Laien evident.

Müller: Aus medizinethischer Sicht ist die Frage schwierig zu beantworten. Oft nimmt man ein Medikament, um sein normales Leistungsniveau wiederherzustellen. Ohne es jedoch zu überbieten. Kann man da von einer Leistungssteigerung sprechen? Ein Verbot hätte den Nachteil, dass eine berechtigte Anwendung im schiefen Licht erscheinen würde.

STANDARD: Schmerzmittel sind nicht nur bei den Skiprofis ein Renner. Steigt der Gebrauch?

Müller: Laut einer Studie der Fifa zur Fußball-WM 2010 haben 34,6 Prozent aller Spieler auf Schmerzmittel oder entzündungshemmende Präparate zurückgegriffen. 2006 waren es 29 Prozent. Auch bei Nachwuchsspielern liegt die Quote um 20 Prozent. Man darf das Problem aber nicht am Fußball oder Skisport festmachen, in anderen Sportarten gibt es ähnliche Tendenzen.

STANDARD: Die Zahlen im Jugendbereich klingen alarmierend.

Müller: Bei der präventiven Arbeit in den Nachwuchskadern versuchen wir das Bewusstsein zu sensibilisieren. Wenn man verinnerlicht hat, dass man für seine volle Leistungsfähigkeit etwas braucht, hat man den ersten Schritt in eine psychologische Abhängigkeit getan. Deshalb raten wir zur Zurückhaltung, egal ob eine Substanz nun verboten ist oder nicht.

STANDARD: Sie sehen also auch erlaubte Substanzen skeptisch?

Müller: Die Entwicklung einer Dopingmentalität wird damit unterstützt. Jedes Medikament baut die Hemmschwelle ab. Bernhard Kohl hat mir das schön beschrieben. Zuerst Nahrungsergänzung und Analgetika, später Vitamin C mit der Spritze und dann Epo.

STANDARD: Die Prävention wird wohl nicht einfacher, wenn Profisportler behaupten, dass sie ohne Schmerzmittel gar nicht mehr an den Start gehen?

Müller: So ist es. Im Nachwuchs und im Breitensport ist viel Halbwissen da. Da heißt es, man müsse für eine optimale Leistung Kreatin oder Vitamin C einnehmen. Das Ganze ohne Rücksprache mit einem Fachmann.

STANDARD: Was muss sich ändern?

Müller: Vor der Einnahme sollte sich ein Spezialist die Notwendigkeit überlegen. Wir sprechen uns strikt gegen Selbstmedikation aus. Hier ist die Werbung für medizinische Produkte problemverstärkend, dadurch wird eine Nachfrage erzeugt. Medikamente sollte noch immer der Mediziner verordnen, nicht der Patient.

STANDARD: Aber sind es nicht auch die Mediziner, die die Athleten über die Maßen versorgen?

Müller: Es gibt sicherlich Fälle, in denen rezeptpflichtige Schmerzmittel sehr schnell verschrieben werden. Dabei werden die Nebenwirkungen oft unterschätzt.

STANDARD: Von welchen Nebenwirkungen sprechen wir?

Müller: Global gesprochen vor allem von Magen- und Darmbeschwerden. Man darf nicht vergessen, dass die Sportausübung zusätzlichen Stress erzeugt. Das kann Auswirkungen verstärken.

STANDARD: Der ÖSV-Alpine Romed Baumann meint, er sei im Kopf "nicht mehr frisch gewesen".

Müller: Es ist denkbar, dass ein Mittel sedierend wirkt. Das hängt vom Einzelnen und vom Medikament ab. In Kitzbühel kann ein Abfahrer aber auch ohne Medikamente stürzen. Hier einen Zusammenhang zu erstellen, ist gewagt.

STANDARD: 2014 gab es durch die Nada eine einzige Blutkontrolle bei den Alpinen. Ist das nicht mager?

Müller: Wir sind in Abstimmung mit dem internationalen Verband. Wenn dieser viel kontrolliert, können wir unsere Ressourcen anders einsetzen. Zudem lassen sich im Blut nur Sachen nachweisen, die in die Ausdauerleistungsfähigkeit gehen. Für einen Alpinen ist das bedingt interessant. Es sieht in der Statistik unschön aus, aber wir kontrollieren nicht für die Optik.

STANDARD: Die meisten Kontrollen finden bei den Nordischen und den Biathleten statt.

Müller: Dort hatten wir mit dem Langläufer Johannes Dürr auch den bekanntesten Fall. Seine Werte waren über lange Zeit auffällig. Das wusste er, das wussten wir. Dann ist er während der Olympischen Spiele von Sotschi zum Training auch noch nach Hause gefahren, und hat sich damit weiter verdächtig gemacht. Dieses Vorgehen war schon sehr erstaunlich. Er hat es uns und dem IOC nicht besonders schwer gemacht. (Philip Bauer, 4.2.2016)