Billy Wagner ist der Popstar der Sommelierszene. Der Mann mit Rauschebart betreibt ein eigenes Restaurant in Berlin.

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Der ehemalige Punkgitarrist Justin Leone sorgt für die Weine im Münchner Tantris.

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Steve Breitzke will Gäste des Wiener Loft im Sofitel mit spannenden Weinen fordern.

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Sie wollten nie nur Weinkellner sein. Schon damals nicht, als sie sich noch im Frack mit strengem Blick und steifer Haltung dem Tisch näherten. Bewaffnet mit einer ledergebundenen Weinbibel und dem unvermeidbaren Silberschälchen an der Halskette. Die Gabe mancher Sommeliers, Überheblichkeit durch professionelle Servilität zu tarnen, machte Gästen klar, dass sie für die vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung im Gourmettempel nicht nur teuer bezahlen, sondern sich auch als würdig erweisen mussten. Letztlich blieben Sommeliers aber nur namenlose Statisten.

In den vergangenen Jahren hat sich ihr Image radikal verändert. Sie kleiden sich exzentrisch und geben sich lässig. Verkorkste Weinbeschreibungen sind ihnen zuwider. Wurden vor kurzem noch Sterneköche kultisch verehrt, feiert man jetzt Sommeliers als die neuen Popstars im Gourmetzirkus. Was ihrem Gaumen gefällt, gilt als angesagt. Nicht mehr Weinkritiker wie der amerikanische Autor Robert Parker entscheiden über das Schicksal eines Weinguts, sondern die Vorlieben der Sommeliers. Losgetreten wurde der Kult um Weinkellner in den USA, über Dänemark und England schwappte er auf ganz Europa über.

Sein oder Nichtsein

Wer auserwählt ist, in der Weinkarte des Kultrestaurants Noma in Kopenhagen gelistet zu sein, hat es geschafft. Chefsommelier Mads Kleppe gilt als einer der einflussreichsten seiner Zunft. In seinem Portfolio finden sich ausschließlich Bioweine von unbekannten Betrieben aus neuen Regionen – aus den Hinterhöfen der Weinwelt. Teure Tropfen aus dem Bordeaux sucht man in seiner Karte vergeblich.

Kleppe hat rasch erkannt, dass die exponierte Küche des Noma nach ebenso unkonventionellen Weinen verlangt. Damit hat er auch den Hype um Naturweine befeuert. "Diese Weine sind wie gemacht für unsere Küche und umgekehrt!", sagt er.

Das Erfolgskonzept ermutigte inzwischen einige hochdekorierte Gourmettempel, junge wagemutige Sommeliers anzuheuern. Ein Beispiel ist das legendäre Tantris in München. Hier setzt man auf den Kanadier Justin Leone. Seine Weinkarte hat schon im Dreisternerestaurant Alinea in Chicago für Furore gesorgt.

Der ehemalige Musiker glänzt nicht nur mit seinem Weingeschmack, sondern weiß auch optisch aufzufallen: In feinstes Tuch gekleidet mit Knickerbocker und bunten Kniestrümpfen, inszeniert er sich als Dandy. "Bei mir gehört die Show dazu", gesteht er, "schließlich bin ich früher als Punkgitarrist auf der Bühne gestanden!" Leone ist eine Diva, und den Gästen gefällt es. Sie lassen sich von ihm zu ungewöhnlichen Begleitungen verführen. Da darf es dann schon einmal Bier oder Whiskey zum Hauptgang sein.

Auch Billy Wagner, der vor einem Jahr sein Berliner Lokal Nobelhart & Schmutzig eröffnete, passt nicht ins Bild des servilen Weinkellners. Mit seinem roten Rauschebart erinnert der Paradehipster an Rübezahl. Vom deutschen Feuilleton wird er wie ein Rockstar gefeiert.

Der Wirt ist König

Wagners Weinauswahl erfolgt nach subjektiven Kriterien: Getrunken wird, was dem Wirt schmeckt, und das ist so ungewöhnlich wie spannend. Bei seiner jungen Fangemeinde genießt er Narrenfreiheit. Er favorisiert Weine, für die man keinen Monatslohn auf den Tisch blättern muss. Was auf der Karte landet, zählt zur önologischen Avantgarde.

Aber so tollkühn sich Wagner auch gibt, er ist kein Blender. Wie die meisten Kollegen kann er auf eine klassische Ausbildung und auf Auszeichnungen verweisen: Mehrfach wurde er Sommelier des Jahres. Sein fundiertes Wissen erlaubt es ihm, auch ausgezuckte Rebensäfte glaubwürdig zu verkaufen. "Es ist eine neue Generation von Weintrinkern herangewachsen, die sich auskennt", weiß er. "Sommeliers, die von oben herab belehren, sind nicht mehr gefragt."

Annemarie Foidl, Präsidentin des Österreichischen Sommelierverbands, freut sich über den Imagewandel ihres Berufsstands. Allerdings schränkt sie ein: "Der Sommelier ist Dienstleister und für den Gast da – nicht umgekehrt. Nervöse Rennpferde, die glauben, dass sich alles um sie dreht, sind fehl am Platz. Nur Selbstinszenierung geht nicht." Was macht gute Sommeliers also aus? Es ist dieser unstillbare Durst nach dem Unbekannten. Sie verkosten ohne Scheuklappen. Wenn ein Wein sie berührt, pushen sie ihn. Das macht sie so mächtig.

Langsam erkennt auch die heimische Spitzengastronomie die Bedeutung von Sommeliers und degradiert sie nicht mehr zu Verwaltern langweiliger Weinkarten. Man präsentiert sich hierzulande optisch dezenter, aber inhaltlich radikal. Wie Steve Breitzke vom Restaurant Das Loft im Wiener Sofitel.

Unter Weinfreaks hat sich herumgesprochen, dass er eines der spannendsten Weinprogramme des Landes fährt. Die Küche gerät dabei fast zum Nebenschauplatz. Als Star fühlt sich Breitzke nicht: "Wir sind keine Gurus, wollen unsere Gäste aber fordern", stellt er klar. "Nichts ist langweiliger als Wein, der in jedem Restaurant der Stadt serviert wird." Wohl wahr. (Christina Fieber, RONDO, 5.2.2016)