Das Kárahnjúkar-Kraftwerk in Island war das erste große Projekt zur Stromgewinnung. Nun sollen weitere Gebiete genutzt werden.

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Steinwüsten, Lavafelder, Gletscher, Vulkane und sonst nichts. Im isländischen Hochland gibt es keine Bewohner, kaum Tiere, nicht einmal viel Vegetation, sondern nur weites Land auf einer Fläche, die etwa so groß wie die Schweiz ist. Das Hochland im Landesinneren Islands gehört zu den größten unberührten Naturlandschaften Europas.

Mit der Unberührtheit könnte es bald vorbei sein. Die isländische Regierung und das staatliche Energieunternehmen Landsvirkjun planen die Nutzung des Hochlandgebiets zur Stromgewinnung. Zahlreiche Staudämme und Wasserkraftwerke sind geplant, eine Stromleitung soll quer von Nordosten nach Südwesten durch das Hochland verlaufen. Ein entsprechender Masterplan existiert seit 1999, bereits 2006 wurde mit dem 200 Meter hohen Kárahnjúkar-Staudamm im Hochlandgebiet ein erstes Mammutprojekt in Betrieb genommen. Mehr als 80 Kraftwerksbauten werden landesweit derzeit evaluiert.

"Hinter diesen Projekten liegt keine andere philosophische Idee als: Wir tun es, weil wir es können. Hier ist ein Wasserfall, wir müssen ihn nutzen", sagt Andri Snær Magnason. Der Kinderbuchautor begann sich wegen der Kraftwerksprojekte mit der isländischen Energiepolitik zu beschäftigen und ist mittlerweile einer ihrer größten Kritiker. Gemeinsam mit der Musikerin Björk hat er die Bewegung "Protect the Park" ins Leben gerufen und fordert den Stopp aller Bauprojekte und einen Nationalpark im gesamten Hochlandgebiet. In Umfragen befürwortet eine Mehrheit der Isländer diese Idee.

Auf den ersten Blick ist die Nordatlantikinsel ein energiepolitischer Musterschüler. Island ist in der angenehmen Position, den Energiebedarf beinahe ausschließlich mit Wasserkraft und geothermischer Energie aus dem eigenen Land decken zu können. Und das, obwohl Isländer nicht gerade sparsam mit Energie umgehen: Der Pro-Kopf-Verbrauch ist viermal so hoch wie in Österreich und damit der höchste weltweit. Doch mehr als 70 Prozent des Energieverbrauchs gehen auf drei Aluminiumhütten zurück. Ohne die Aluminiumindustrie hätte Island seit 1990 die Stromversorgung nicht mehr ausbauen müssen und könnte den heutigen Bedarf dennoch mühelos decken. Der Kárahnjúkar-Staudamm, bei weitem Islands größtes Kraftwerk, versorgt ausschließlich die Aluminiumhütte des US-Unternehmens Alcoa im Osten der Insel.

"Eine Aluminiumhütte verbraucht so viel Energie wie eine Million Menschen", sagt Magnason, "und wir verkaufen ihnen diese Energie auch noch mit einer sehr niedrigen Gewinnspanne."

Aufgrund ihrer Energieintensität zahlt sich Aluminiumproduktion nur bei sehr günstigen Strompreisen aus. Der Preis für Island ist dagegen hoch: Immer mehr natürliche Energiequellen müssen durch staatliche Investitionen nutzbar gemacht werden. Das geht auf Kosten der unberührten Natur, die immerhin für vier von fünf Touristen der Hauptgrund für eine Reise ist. Aluminiumhütten schaffen zwar Arbeitsplätze, allerdings in verhältnismäßig bescheidenem Ausmaß: 1400 Jobs sind es in Island insgesamt. Zudem hat das Aluminiumunternehmen Alcoa seit Betriebsbeginn 2008 keine Gewinnsteuern gezahlt, obwohl im Jahresbericht von 2012 das isländische Werk positiv hervorgehoben wird: "Unsere Hütte in Island zählt durch günstige Energie (...) zu den profitabelsten in unserem Kerngeschäft." Der isländische TV-Kanal RÚV berichtete im vergangenen November, dass Alcoa Island jedes Jahr hohe Zahlungen an die Muttergesellschaft in Luxemburg leistet.

Goldgräberstimmung

Während die Industrialisierung im 20. Jahrhundert relativ wenig Umweltverschmutzung in Island verursachte, herrscht seit der Wirtschaftskrise 2008 Goldgräberstimmung. In manchen ruralen Gegenden sind einige hundert Arbeitsplätze eine Aussicht, für die die Bevölkerung zu kämpfen bereit ist und viel in Kauf nimmt.

Der Schutz der einzigartigen isländischen Natur ist dabei nicht einfach zu vermitteln, gerade wenn es um das karge, unbewohnte Hochland geht, von dem weite Teile kaum ein Mensch je zu Gesicht bekommen hat. "Die raue Natur war hier historisch gesehen immer stärker als die Menschen. Die Idee, dass sich das umdrehen könnte, dass wir das Hochland zerstören und die Fischereigebiete schädigen können, ist für viele Isländer neu", sagt Magnason. Es scheint, als ob es die Touristen gebraucht hat, um den Isländern den Wert ihrer eigenen Natur vor Augen zu führen. 2015 kamen viermal so viele Touristen, wie das Land Einwohner hat: Die meisten von ihnen wegen Gletschern, Vulkanen und Lavafeldern. (Michael Luger aus Reykjavík, 3.2.2016)