STANDARD: Sind Sie schon ein wenig wehmütig bei dem Gedanken an den Abschied aus der Hofburg?

Heinz Fischer: Keineswegs – weil ich nach 55 Jahren intensiver Berufstätigkeit knapp vor meinem 78. Geburtstag nichts dagegen einzuwenden habe, wenn mein Terminplan ein bisschen lockerer wird.

STANDARD: Ihre potenziellen Nachfolger müssen sich derzeit alle mit der Frage herumschlagen, ob sie einen Wahlsieger Heinz-Christian Strache nach der nächsten Nationalratswahl als Kanzler angeloben würden. Hätten Sie es getan?

Fischer: Mein Credo lautete stets: Vor dem Vorliegen eines Wahlergebnisses gibt es keine Festlegung, was die Ernennung des Kanzlers betrifft – und daran halte ich mich bis heute.

STANDARD: Aber es gibt keinen zwingenden Grund, nur den Spitzenkandidaten der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen?

Fischer: Exakt, so ist es. Und so war es – zur Freude von ÖVP und FPÖ – auch 1999/2000.

Heinz Fischer kommt durch die Tapetentür in der Präsidentschaftskanzlei in der Hofburg. Noch gibt der Präsident fröhlich Interviews, aber es rückt die Zeit näher, da die Termine spärlicher werden.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Ihr Vorgänger Thomas Klestil hat im Jahr 2000 einige Freiheitliche nach untragbaren Aussagen von der Ministerliste gestrichen – das war damals ein Tabubruch.

Fischer: Das war kein Tabubruch. Klestil hat von einer Handlungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, die verfassungskonform ist.

STANDARD: Sie haben Strache 2012 die Verleihung des "Großen Goldenen Ehrenzeichens mit dem Stern" verweigert, weil er angesichts von Protesten gegen den Burschenschafterball erklärt hat: "Wir sind die neuen Juden." Würden Sie ihm heute einen Orden verleihen?

Fischer: Ich habe die damalige Entscheidung, die nach sorgfältiger Abwägung erfolgt ist, nie revidiert.

STANDARD: Unlängst hat der FPÖ-Chef Kanzler Werner Faymann (SPÖ) wegen seiner Linie in der Flüchtlingskrise als "Staatsfeind" bezeichnet – was Sie öffentlich verurteilt haben. Ab wann ist für Sie das Maß voll?

Fischer: Weder als Nationalratspräsident noch als Bundespräsident habe ich versucht, einen Katalog mit erlaubtem und nicht erlaubtem Vokabular zu erstellen. Im Bemühen um politische Kultur spreche ich bei krassen Grenzüberschreitungen aber einen Mahnruf zur Vernunft aus. Die paar Mal, wo ich das getan habe, waren absolut gerechtfertigt. Und im jüngsten Falle würde ich mich wundern, wenn sich der Betreffende nicht auch selbst eingesteht, dass er sich in der Wortwahl vergriffen hat.

STANDARD: Die Regierung hat sich auf eine "Obergrenze" beziehungsweise einen "Richtwert" für Asylansuchen geeinigt – und hat im Nachhinein Gutachten in Auftrag gegeben, ob das rechtlich überhaupt möglich ist. Wie stehen Sie zu dieser Vorgangsweise?

Fischer: Die Überlegung der Regierung ist Folgende: Österreich ist bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, aber es sind Maßnahmen notwendig, um zu erreichen, dass unser Land nicht über das Zumutbare hinaus belastet wird. Zu diesem Zweck hat die Koalition einen Richtwert beschlossen, der bei 1,5 Prozent der Bevölkerung liegt. Das ist ein Konzept, das ich verstehen kann. Aber ich beteilige mich nicht an dem Versuch, ein Problem dadurch zu schaffen, dass man das Wort "Richtwert" durch "Obergrenze" ersetzt. Ich bin der Meinung, dass wir jetzt gemeinsam ein Bündel von Maßnahmen erarbeiten müssen, welches ein Sinken der Zahl der Asylanträge in Richtung des Richtwertes zur Folge hat. Arbeiten ist klüger als streiten.

"Die Zahl 37.500 ist für 2016 also eine Zielvorgabe – und damit ist die Frage nach dem 37.501. Asylwerber entschärft."
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Die ÖVP will für Flüchtlinge im Land die Mindestsicherung reduzieren. Ist das zulässig?

Fischer: Bund und Länder können gemeinsam die bestehenden Regelungen ändern. Aber die Frage ist nicht, ob es zulässig ist, sondern wie das sozialpolitisch und menschlich zu bewerten ist.

STANDARD: Was macht man mit dem 37.501. Asylwerber?

Fischer: Es ist nicht vertretbar, dass in Österreich, das acht Millionen Einwohner hat, 90.000 Asylanträge gestellt werden – und in unseren Nachbarländern Ungarn, Slowenien und der Slowakei zusammen nur 4000. In einer solchen Situation, wie schon gesagt, sind Maßnahmen angebracht, die dieses Ungleichgewicht reduzieren und das Ziel haben, dass es in der Regel pro Monat möglichst nicht mehr als 3000 Asylanträge gibt. Die Zahl 37.500 ist für 2016 also eine Zielvorgabe – und damit ist die Frage nach dem 37.501. Asylwerber entschärft.

STANDARD: Der neue Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) will eine Verlängerung der Wehrpflicht prüfen lassen – und tritt bei anhaltendem Flüchtlingsandrang für einen bewaffneten Assistenzeinsatz mit Grundwehrdienern im Süden ein. Was halten Sie als Oberbefehlshaber des Bundesheeres von diesem Ansinnen?

Fischer: Es ist ein Unterschied, ob der Minister etwas vom Generalstab überprüfen lässt – oder ob er schon dafür eintritt. Ich habe mit ihm darüber gesprochen – und selbstverständlich hält Doskozil an der Dauer der Wehrpflicht von sechs Monaten fest. Und er ist derzeit auch nicht für eine Ausdehnung des Assistenzeinsatzes im Süden. Aber ein Verteidigungsminister, der für alle Szenarien gerüstet sein will, muss auch alle möglichen Maßnahmen prüfen lassen – auch die, dass Abrüstungstermine verschoben werden.

"Ich bin ein Anhänger des Grundwehrdienstes, aber kein Fan seiner Verlängerung."
Cremer

STANDARD: Sie sind kein Fan einer Verlängerung des Grundwehrdienstes?

Fischer: Ich bin ein Anhänger des Grundwehrdienstes, aber kein Fan seiner Verlängerung.

STANDARD: In der Türkei droht ein heftiger Konflikt mit den Kurden, sodass ein neuer Flüchtlingsstrom entstehen könnte. Doskozils Szenarien sind also gar nicht so unwahrscheinlich.

Fischer: Die Republik Österreich ist ein gut organisierter Staat. Aber ich habe ein anderes Politikverständnis als manche andere Politiker oder Journalisten. Aus theoretisch möglichen Varianten eine alarmistische Stimmung zu konstruieren, liegt mir nicht.

STANDARD: War es dann schlau, dass Doskozil vor seiner Angelobung und ohne Rücksprache mit dem Generalstab derartige Aussagen tätigte?

Fischer: Wahrscheinlich ist er danach gefragt worden – und wahrscheinlich hat er, weil er ein höflicher Mensch ist, geantwortet.

STANDARD: Was die möglichen Abschiebungen mit den Transportflugzeugen des Typs Hercules des Bundesheeres betrifft: Die hat der Minister selbst ins Spiel gebracht. Ist das für Sie denkbar, wo es doch kaum Rücknahmeabkommen mit Staaten vom Fernen Osten angefangen bis nach Afrika gibt?

Fischer: Wenn Österreich Flüchtlinge in größerer Zahl außer Landes schafft und es stellt sich heraus, dass der Einsatz eines Fluggeräts des Bundesheeres billiger ist als die Miete eines AUA-Flugzeugs, und das von den Offizieren als sinnvoll erachtet wird, dann wird man diesen Weg wählen.

"Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren – das ist nicht verhandelbar."
Cremer

STANDARD: Ohne Rückführungsabkommen mit Afghanistan und vielen anderen Herkunftsstaaten wird man mit einer Militärmaschine aber nicht einfach landen, die Ladeklappe hinunterlassen und die Menschen dort abstellen können.

Fischer: Da haben Sie recht, aber in Ländern ohne Rückführungsabkommen können wir weder mit der Hercules noch mit der AUA landen.

STANDARD: Sie haben schon in Ihrer Rede zum Nationalfeiertag um Verständnis für die Flüchtlinge geworben, aber gleichzeitig vor Naivität gewarnt – warum?

Fischer: Weil es sich um ein sehr komplexes Problem handelt, das auch Deutschland und anderen Ländern Probleme macht. Das kann man weder mit populistischen Parolen noch mit Naivität lösen.

STANDARD: Ist das eine Mahnung sowohl in Richtung der "Ausländer raus!"-Fraktion als auch der Vertreter der "Willkommenskultur"?

Fischer: Der Aufruf zur Sachlichkeit und zum Realismus richtet sich an alle Parteien, an die Medien und auch an die Bevölkerung.

STANDARD: Was ging Ihnen angesichts der sexuellen Übergriffe – laut Polizei durch Männer arabischer und nordafrikanischer Herkunft – gegen Frauen in Köln durch den Kopf?

Fischer: Dass das absolut inakzeptabel ist und dass man gezielte Gegenmaßnahmen ergreifen muss. Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren – das ist nicht verhandelbar. Unsere Rechtsordnung ist einzuhalten, daran müssen sich auch Flüchtlinge halten. Und die Gleichstellung von Mann und Frau ist ein Grundelement unserer Gesellschaftsordnung. Dieser Grundsatz gilt für alle Österreicher und für alle Ausländer – ob sie Flüchtlinge oder Touristen sind. (Michael Völker, Nina Weißensteiner, 30.1.2016)