Harun und Gateh aus Kabul warten an der griechisch-mazedonischen Grenze auf ihren Bus. Sie wollen in Deutschland studieren.

Foto: Wölfl

Gateh W. lehnt an der Plastikwand des weißen Zelts und versucht möglichst viel Sonne einzufangen. Die Nächte hier an der mazedonischen Grenze waren kalt, und die drei Nächte im Bus konnte man kaum schlafen. Gateh hat in Kabul Pharmazie studiert. Nun will er nach Deutschland, um dort fertigzustudieren. Auch sein Cousin Harun, der gerade seinen dreijährigen Dienst bei den afghanischen Streitkräften beendet hat, will studieren. "In Afghanistan finde ich keinen Job", sagt er. Die Männer sind mit ihrer zehnköpfigen Familie aus Kabul angereist.

An der griechisch-mazedonischen Grenze ist der Frühling zu fühlen. Die Wintersaat ist ein paar Zentimeter hoch und leuchtet grün. Der schneebedeckte Kozuv am Horizont glitzert in der Sonne und erinnert Gateh an die afghanischen Berge. "Afghanistan ist das schönste Land der Welt", sagt er. "Aber in Deutschland ist der Staat viel besser."

Einige Flüchtlinge haben sich mit Decken auf das Feld gelegt, um ihre Glieder auszustrecken und Wärme zu tanken. Kinder spielen Fußball. Alle warten auf die Abfahrt von Bus 871. Seit Schweden, Deutschland und Österreich weniger Migranten aufnehmen wollen, läuft hier an der Grenze alles viel langsamer ab. Die Flüchtlinge werden nur mehr busweise nach Mazedonien weitergelassen. Die Grenze ist aber nicht geschlossen, es läuft nur alles viel kontrollierter. Nichts erinnert mehr an die chaotischen Zustände im Sommer, als täglich tausende Flüchtlinge die Geleise hinaufmarschierten – viele ohne Registrierungen und ohne Kontrolle.

50 Euro für den Schlepper

Mazedonien lässt heute nur mehr Syrer, Afghanen und Iraker durch, die gültige Papiere haben, registriert sind und die in Deutschland oder Österreich um Asyl ansuchen wollen. Natürlich probieren es auch manche andere, trotzdem hinüberzukommen. Der Pakistaner Bilal hat sich kürzlich für 50 Euro einem Schlepper anvertraut, der ihn Richtung Westen in die Berge brachte. Fünf Stunden dauerte der Marsch. Dann wurde die Gruppe von mazedonischen Militärs aufgestöbert. Die zögerten nicht lange und schossen in die Luft, dann trieben sie die Migranten zurück nach Griechenland, erzählt Bilal. "Wenn du noch einmal versuchst, illegal die Grenze zu übertreten, dann kommst du ins Gefängnis", hätten sie gedroht. "Wir haben richtig mit ihnen gekämpft", meint er.

Natodrahtrollen und Eidechsen

Mittlerweile reicht der Zaun links und rechts neben der Eisenbahn hier an der Grenze jeweils zehn Kilometer weit. Neben den dreifachen Natodrahtrollen sonnen sich Eidechsen. Tritt man näher, raschelt es alle paar Zentimeter, und die Tiere verschwinden im Laub. Ein Bauer treibt seine Schafe mit Zurufen weg von dem gefährlichen Zaun – die spitzen Widerhaken können die Tiere lebensgefährlich verletzen.

Wer im Osten am Zaun entlanggeht, trifft am Fluss Vardar auf mazedonische Militärs mit großen grünen Walkie-Talkies und strengen Stimmen. In den Büschen, am Wegrand, auf den Feldern liegen die Hinterlassenschaften der Weitgereisten: Handschuhe, Wasserflaschen, eine Mickymaus aus Stoff, eine flauschige grüne Decke. Roma sammeln den Müll rund um das Flüchtlingscamp ein.

Frieren an der Tankstelle

Während hier im Camp an der Grenze die Versorgung mit Essen, Ärzten, Zelten und Decken gut ist, ist weiter im Süden ein Platz des Elends und der Not entstanden. Etwa 15 Kilometer entfernt, auf der griechischen Seite, werden die Migranten an einer Tankstelle zwischengeparkt und müssen tagelang auf die Weiterfahrt an die Grenze warten. Auf dem Parkplatz stehen etwa dreißig Busse. Sobald die Sonne weg ist, wird der Jänner hier eisig. Die Flüchtlinge – die meisten sind Afghanen und Syrer – lagern auf dem Asphalt auf Decken. Manche haben sich in Mülltonnen Feuer gemacht, um nicht so zu frieren. Fast alle sind bereits drei Tage hier – manche erzählen, dass sie nicht in die Busse dürften, um dort zu schlafen.

Vor allem für die Babys ist die Situation gefährlich, es gibt nur zwei Zelte, viel zu wenig für die hunderten Flüchtlinge hier. Auch die Ärzte im Camp an der Grenze bestätigen, dass viele Flüchtlinge von der Tankstelle völlig unterkühlt ins Aufnahmezentrum kommen. Manche suchen in der Tankstelle Zuflucht, die völlig überfüllt ist und an die ein kleines Geschäft angeschlossen ist.

Jacken statt Touristenkitsch

Hier hat man sich auf die neue "Nachfrage" eingestellt und verkauft weniger Touristenkitsch, sondern fette Winterjacken und Handschuhe – wahrscheinlich ist es das größte Geschäft seit der Eröffnung der Tankstelle. Vielleicht schimpft die Verkäuferin auch deshalb, wenn man hier fotografiert. Manche Flüchtlinge meinen, die unfreiwillige Zwischenstation sei durch "Absprachen zwischen der griechischen Polizei und den Besitzern der Tankstelle" zustande gekommen. Sicher ist: Je größer die Kälte, je länger das Warten, desto mehr Gerüchte entstehen. (Adelheid Wölfl aus Idomeni, 29.1.2016)