Bild: Tangiers
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Aus Literatur ein Spiel zu machen, ist schwer. Umso schwieriger, wenn das Vorbild schon als Lektüre herausfordernde Kost ist, und das ist das Werk des US-Literaten William S. Burroughs. Der für exzessiven Drogengebrauch und exzentrischen Lebensstil bekannte, 1997 verstorbene Ausnahmeautor ist weiten Kreisen vor allem durch die Verfilmung seines teils autobiografischen Kultromans "Naked Lunch" durch David Cronenberg ein Begriff; in seinen Pulp, Philosophie und absurden Humor vereinenden Romanen verlieren sich auch anspruchsvolle Leser oft in psychedelischen Labyrinthen aus Handlung, Sprache und dunklen Fantasien.

Nicht unbedingt beste Voraussetzungen für ein Videospiel? Mit seinem Stealth-Spiel "Tangiers" will Alex Harvey gemeinsam mit seinem Mitentwickler Michael Wright den Gegenbeweis antreten.

Alex Harvey

Monochrome Albtraumwelt

"Tangiers" soll ein surreales Open-World-Stealth-Spiel werden, das nach dem ausgesprochenen Vorbild der "Thief"-Reihe auf vorsichtiges Schleichen und Verstecken setzt, aber seinen Spielerinnen und Spielern auch unterschiedliche Vorgehensweisen erlaubt. Die raren, aber dafür ästhetisch beeindruckenden Eindrücke des Spiels zeigen eine düstere, surreale Welt, die sich nach Angaben Harveys durch das Verhalten des Spielers zunehmend verändern wird. Sprache spielt, wie im Werk von Burroughs, eine große Rolle: So sollen etwa einzelne Worte wie Gegenstände gesammelt und dann zu verschiedenen Zwecken verwendet werden.

Neben klaustrophobischen urbanen Albtraumszenerien soll "Tangiers", benannt nach der marokkanischen Metropole, in der Burroughs einen wichtigen Teil seiner Werke verfasste, sein Publikum immer wieder auch in riesige, surreale Landschaften führen. Besonders die düstere, fast monochrome Grafik und der Soundtrack versprechen schon jetzt ein ästhetisch außergewöhnliches Erlebnis mit originellem Design und einzigartiger Atmosphäre – und eine neue Interpretation von Burroughs’ drogeninduziertem, surrealen Niemandsland "Interzone", das in einigen seiner Werke eine bedeutende Rolle spielt.

Agenten der Unordnung

"Ich wollte ein Spiel machen, das ich selber gerne spielen würde", meint Alex Harvey, Schöpfer des seit zwei Jahren in Entwicklung stehenden Spiels auf die Frage, warum er Burroughs und Videospiele zusammenbringen will. "‘Tangiers’ soll ein Spiel werden, das mit den Themen von Burroughs spielt, nicht ‘Burroughs: The Game’. Das manifestiert sich auch in der Stealth-Spielmechanik: Die Spieler sind Agenten der Störung, des Chaos,die den Handlangern der Kontrolle entgehen müssen. ‘Tangiers’ soll den Spielern das Gefühl geben, nur an der äußeren Peripherie dieser Welt existieren zu dürfen. Und die Grenzen dieser Albtraumwelt zur Realität sind durchlässig und verschieben sich."

Während sich Burroughs’ Themen und die Atmosphäre seiner bizarren literarischen Welten mehr oder weniger einfach ins Medium Videospiel übertragen lassen, gibt es aber durchaus andere Herausforderungen. "Die größte Hürde ist Burroughs’ nicht lineare Erzählweise. Literatur kommt damit in ihrer Abstraktion gut zurecht, aber bei einem Spiel braucht es doch so etwas wie einen roten Faden", räumt Harvey ein.

Dass "Tangiers" sich mit seiner Verknüpfung von experimenteller Literatur und dem jungen Medium Spiele zwischen die Stühle setzt, glaubt er aber nicht. "Das Spielepublikum ist inzwischen so gewaltig groß, dass auch Nischen wie diese erfolgreich sein können. Mich hat trotzdem überrascht, dass wir viel positives Feedback von Spielern bekommen haben, die mit der Literatur absolut nicht vertraut sind. Klar machen wir hier etwas Ungewöhnliches, das vielleicht nicht besonders zugänglich ist. Aber wir versuchen eben, das auf eine Art und Weise zu verwirklichen, die auch für den durchschnittlichen Spieler nicht zu abgehoben oder elitär ist."

Alex Harvey

Schwierige Entwicklung

Seit dem bereits Mitte 2013 erfolgreich abgeschlossenen Kickstarter ist es still um das spannende Projekt geworden, das bereits 2014 hätte erscheinen sollen – auch der bereits mehrmals verschobene Zugang zur geschlossenen Beta ist bislang nicht umgesetzt. Was ist schiefgelaufen? "Kurz gesagt haben sich schon in den ersten sechs Entwicklungsmonaten unvorhersehbare Schwierigkeiten ergeben – und weil wir damals noch nicht die nötige Erfahrung hatten, konnten wir das Projekt nicht rechtzeitig zurück auf Schiene bringen", gesteht Harvey ein. "Das größte Problem war und bleibt aber die Finanzierung. Nach den anfänglichen Verzögerungen war es nötig, weitere finanzielle Mittel aufzutreiben. Wir haben anfangs das Publikum für ‘Tangiers’ und das Interesse daran unterschätzt. Es wäre rückblickend besser gewesen, das Kickstarter-Ziel höher anzusetzen, um einen zweiten Programmierer bezahlen zu können."

Tot ist das Projekt allerdings zum Glück nicht, auch wenn die Homepage des Spiels bereits seit Längerem eine triste Baustelle ist. "Im Moment verhandeln wir gerade mit einem Publisher. Ich darf momentan nichts dazu sagen, aber die Fertigstellung von ‘Tangiers’ ist nicht mehr allzu weit entfernt", verspricht Harvey.

Übrigens: William S. Burroughs selbst hätte vermutlich absolut nichts dagegen gehabt, dass sein Werk als Inspiration für ein Computerspiel verwendet wird. 1995, zwei Jahre vor seinem Tod, im hohen Alter von 83 Jahren, lieh er im Gegenteil sogar den Figuren im obskuren Adventure-Spiel "The Dark Eye" seine unnachahmliche Stimme. "Burroughs war immer bereit, sich auch außerhalb der Literatur an allem Möglichen zu versuchen", sagt Harvey. "Von musikalischen Projekten etwa mit Ministry oder Kurt Cobain bis hin zu Filmauftritten gibt es kaum etwas, wo er nicht zumindest einmal seine Finger dabei hatte." (Rainer Sigl, 31.1.2016)