"Wir wollen zeigen: Wenn ihr auf die Straße geht, gehen wir auch auf die Straße."

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Er wurde 2012 am Rande einer Demo gegen den Burschenschafterball in Wien verprügelt und schwer verletzt. Trotzdem ging der frühere SPÖ-Abgeordnete Albrecht Konečný weiterhin zu der jährlichen Demo. Im STANDARD-Gespräch anlässlich des Akademikerballs am Freitag in der Wiener Hofburg erklärt er, warum. Er spricht über Wiener Nazi-Dynastien, Strache-Plakate in Polizeibüros und die Lage der SPÖ.

STANDARD: Manche kritisieren, die Demos rücken den Akademikerball erst ins Rampenlicht. Sie auch?

Konečný: Wenn eine Veranstaltung die Innenstadt lahmlegt, sind das nicht ein paar Hansln, leider nicht. Das Recht von Menschen, auch von solchen Menschen, sich irgendwo zu treffen, stelle ich nicht infrage. Aber: Ich halte es für einen wirklichen Skandal, dass das in einem der Republik gehörenden Gebäude stattfindet. Wir haben im achten Bezirk ein halbes Dutzend schlagender Verbindungen, die in ihren Häusern sitzen. Nicht schön, nicht erfreulich – erfreulich ist eher, dass sie ausdünnen und die Alten Herren die Zahl der aktiven Mitglieder um das Sechsfache übertreffen.

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STANDARD: Sie meinen, die Burschenschafter sollen lieber dort bleiben?

Konečný: Wie immer geht es um Symbole. Dass in der Hofburg so ein Ball stattfindet, mit diesen Gästen, die für das stehen, was einfach verwerflich ist, ist eine Herausforderung, die man zumindest symbolisch attackieren muss. Man soll zeigen, dass es auch ein anderes Wien gibt. Wir sehen das auch in Deutschland, wo die Rechte auftritt, dass man deutlich macht: Wir wollen keine -gida, mit welcher Vorsilbe auch immer, in unserer Stadt. Wir wollen zeigen: Wenn ihr auf die Straße geht, gehen wir auch auf die Straße. Von mir aus auf die andere Seite, wir lassen uns auch von der Polizei trennen und schreien uns nur an, aber wir zeigen: Es gibt nicht nur euch – uns gibt es auch.

STANDARD: Was hat Ihren Antifaschismus geprägt?

Konečný: Meine Mutter hat im Jahr 1938 selbst im Auftrag einer Organisation, die sie nie kennengelernt hat, gefälschte Pässe an bedrohte Juden verteilt. Mein Vater war als Soldat eingezogen worden, und als er sich nach dem Zusammenbruch der Ostfront von Krakau aus meldete, fuhr meine Mutter mit der Bahn zu ihm. Da ist sie an einem KZ-Transport vorbeigekommen. Ihr Zug hat eine Ansammlung von Viehwagen überholt – da haben Menschen nach Brot und Wasser geschrien. Das hat sie mir sehr detailliert erzählt.

STANDARD: Es gibt viele Junge, die sagen: Das ist alles schrecklich, aber wir sind später geboren und tragen keine Verantwortung. Stimmen Sie zu?

Konečný: Sicher nicht. Natürlich haben die heute Jungen von dem nichts erlebt. Ihre Familien haben ihnen vermutlich nichts erzählt. Ich kenne wenige von den noch einsatzfähigen NS-Opfern, die in die Schulen gehen – da ist Interesse da, aber wenig Wissen, es hat ihnen niemand was erzählt. Es ist auch ein Armutszeugnis der politischen Erziehung in Schulen.

STANDARD: Was bedeutet Antifaschismus für Sie?

Konečný: Die Verteidigung einer gewissen Humanität gegen Strukturen, die Menschengruppen ausgrenzen, von Homosexualität angefangen. Ob sich dabei jemand zu Hitler bekennt oder nicht, ist eher bedeutungslos.

STANDARD: Und was hat das mit dem Akademikerball zu tun?

Konečný: Er ist eine Sammelstelle für jene, die das tun, was ich gerade als unmöglich bezeichnet habe. Da sind ja genügend dabei, die ein bisschen mehr von dem wissen, was damals geschah. Denn natürlich gibt es in Wien Nazi-Dynastien in dritter Generation.

STANDARD: Sehen Sie in der aktuellen Krise die Gefahr eines Erstarkens faschistischer Strömungen?

Konečný: Wenn ich mir die europäische Entwicklung anschaue, halte ich das für sehr nahe an der Realität. Dass Menschen Parteien zulaufen, die extrem ausländer- und sozialstaatsfeindlich sind und gegen die Unterschichten wirken, die alle Programme streichen, die denen gerade noch ein Leben ermöglichen, das ist schon bedrohlich.

STANDARD: Sie wurden 2012 am Rande der Demo verprügelt und vermuten, dass der Täter ein Rechtsextremer war. Woran erkannten Sie das?

Konečný: Optisch hat er ausgesehen wie die alle: blad, kampfmäßig gekleidet, eine Haube mit Rune drauf. Und die Tatwaffe war szenetypisch – ein mehrere Fingerglieder umfassender Schlagring. Aber ja, er trug kein Schild "Staatlich genehmigter Rechtsextremist" und hat mich auch nicht rassistisch beschimpft. (lacht) Das war ja so verblüffend: Er hat einfach per se zugeschlagen. Ich bin zu Boden gegangen wie ein angezählter Boxer. Das alles in 15 Metern Abstand von der Polizeikette. Die Polizisten hätten eigentlich die Rettung rufen können, haben sich aber nicht vom Fleck gerührt. Das waren aber ein paar von den eingeflogenen Bundesländerpolizisten, die sich primär selbst gefürchtet haben in dieser großen, fremden Stadt.

STANDARD: Die Ermittlungen gegen den unbekannten Täter wurden eingestellt. Wie stufen Sie die Polizeiarbeit ein?

Konečný: Nicht übermotiviert. Es gab eine eher unprofessionelle Gegenüberstellung. "Er" war nicht dabei. Bei der ersten Einvernahme bei der Polizei haben sie mich in ein Büro geführt. Dort hing ein großes Strache-Plakat. Ich unterstelle nicht jedem, der die FPÖ wählt, dass er mit der Waffe auf einen Nichtrechten losgeht, natürlich nicht. Aber es gibt auch bei der Polizei viele FPÖ-Sympathisanten und darunter kräftige Einsprengsel, die einfach eine Aggressivität und Brutalität ausleben, die besorgniserregend ist.

STANDARD: Wie wirkt sich das auf den Polizeieinsatz bei Anti-FPÖ-Demos aus?

Konečný: Was die Demos betrifft, ist das ein klarer Fall: Die Polizei hat die Aufgabe, auch den Zugang zu einer rechten Veranstaltung zu sichern. Das ist legitim, auch wenn es mir nicht gefällt. Dass im Vorfeld Menschen, die an ihrer Kleidung als Ballbesucher erkennbar sind, attackiert werden, muss verhindert werden. Den Ball zu verurteilen ist eine Sache – verhindern wird ihn niemand.

STANDARD: Haben Sie das strafrechtliche Vorgehen gegenüber Demonstranten mitverfolgt – etwa den Fall Josef S.?

Konečný: Da ging es offenbar darum, dass er eine Mülltonne mit einem Fußtritt Richtung Polizei losgelassen hat – Landfriedensbruch ist stark übertrieben. Aber grundsätzlich: Wenn jemand aus dem streitlustigen Segment vorsätzlich Schaufenster einhaut, ist das weder antifaschistisch noch g'scheit. Nachdem sich eine Vielzahl von Organisationen an den Protesten beteiligt, gibt es ja niemanden, der sagt: Du Trottel, lass das. Die Polizei hat das zu verhindern, Punkt. Und wenn sie das mit gelinderen Mitteln tut, ist das okay.

STANDARD: Ist das Zusammengehen von SPÖ und FPÖ im Burgenland ein Dammbruch?

Konečný: Ich halte das für einen ganz schweren Fehler. Ich gebe allerdings zu, dass das Risiko, sich plötzlich in der Opposition gegenüber Blau-Schwarz zu befinden, den Landeshauptmann halt irgendwie motiviert hat. Die ÖVP hat auch dort klar mit Erpressung operiert und hat sich damit hinausmanövriert zu einem Preis, von dem ich nicht weiß, was er die SPÖ letztlich kosten wird. Bei der Bevölkerung, meine ich.

STANDARD: Bleibt der SPÖ auch auf Bundesebene nur die Entscheidung, ob sie Macht verliert oder ihr Gesicht?

Konečný: Das halte ich für absolut denkbar. Ich glaube nicht, dass die SPÖ auf Bundesebene die blaue Karte jemals spielen wird. Es kann also passieren, dass wir wieder in Opposition sind. So schlecht hat die damalige Opposition gegen Schwarz-Blau der SPÖ aber nicht getan – das war schon eine Phase der Stärkung und Konsolidierung.

STANDARD: Welche Kompromisse müsste die SPÖ eingehen, dass Sie sagen: Jetzt hat sie ihre Seele verkauft?

Konečný: Man weiß immer erst nachher, was diese rote Linie hätte sein sollen.

STANDARD: Manche sagen, die SPÖ habe ihr Gesicht bereits verloren.

Konečný: Das ist sicher eine mögliche Einschätzung. Es ist eine Koalition, die sich mit Ausnahme von zwei, drei nicht unwichtigen Sachen über nichts einig ist. Die Steuerreform war der letzte und einzige realistische Erfolg.

STANDARD: Verstehen Sie, dass manche SPÖ-Funktionäre auf ein Kooperieren mit den Blauen drängen, weil Rot und Blau ähnliche Wählergruppen ansprechen?

Konečný: Diese Argumentation ist einfach falsch: Es gibt wenige Themen, wo man gemeinsam marschieren könnte, aber viele Themen, wo wir uns diametral gegenüberstehen – etwa beim Asylthema.

STANDARD: Unter SPÖ-Bundeskanzlern wurden reihenweise von Blau geforderte Asylrechtsverschärfungen beschlossen.

Konečný: Aber klar ist: Wer als Flüchtling nach Österreich kommt, kriegt zwar nicht notwendigerweise einen Aufenthaltstitel, aber er kann dableiben. Wir schieben ja praktisch nicht ab. Das ist mit der FPÖ sicher nicht aufrechtzuerhalten.

STANDARD: Nun könnte man sagen: Viele Österreicher wünschen sich genau das.

Konečný: Gut. Aber wenn das wahr ist, dann ist mir lieber, der Strache gewinnt eine Wahl, als die SPÖ destruiert sich selbst.

STANDARD: Was würde die SPÖ vor weiteren Wahlverlusten bewahren?

Konečný: Es ist zum Teil eine Frage des Personals. Wir haben derzeit niemanden, von dem man sagen kann, er sei eine Lichtgestalt in der Wahrnehmung der Bevölkerung.

STANDARD: Faymann ist es nicht?

Konečný: Faymann ist es mit Sicherheit nicht. Er ist ein guter Parteiverwalter, hat auch den einen oder anderen Erfolg erzielt. Aber er ist kein Strahlemann. Parteien brauchen Strahlefrauen oder -männer.

STANDARD: Sie kritisieren also gar nicht seine Arbeit, sondern fehlendes Charisma?

Konečný: Genau. Er steht in vielen Fragen auf der richtigen Seite, aber die Art, wie er es vermittelt, reißt niemanden mit.

STANDARD: Hätte ÖBB-Chef Christian Kern dieses Potenzial?

Konečný: Keine Ahnung. Ich kenne ihn nur als Pressesprecher des damaligen SPÖ-Klubobmanns Peter Kostelka. Da war er sehr effizient. Seither habe ich nicht mit ihm zu tun gehabt.

STANDARD: Rudolf Hundstorfer: ein guter Präsidentschaftskandidat?

Konečný: Naheliegend.

STANDARD: Klingt nicht begeistert.

Konečný: Es ist nicht der große Griff, wo ich sage, ich ziehe ein Püppchen heraus, und alle machen "Aaaah!". Aber er ist eine potenziell für diese Funktion geeignete Person. (Maria Sterkl, 28.1.2016)