Rendezvous mit dem Untergang: Kurt Russell (v. li.) als Kopfgeldjäger, Jennifer Jason Leigh als sein Wildfang und Tim Roth als hintersinniger britischer Dandy im Wilden Westen.


Foto: Constantin

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Universum Film

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The Weinstein Company

Wien – Draußen wütet der Eissturm. Drinnen, in der warmen Hütte, ist es jedoch nicht viel wohliger. Acht Leute befinden sich in einer fatalen Situation, offen bleibt eigentlich nur die Frage der Todesart. Quentin Tarantinos Filme waren von Reservoir Dogs (1992) an Planspiele. Ihren Reiz beziehen sie bis heute auch aus der erzählerischen Raffinesse, die von den grellen Schauwerten, den markigen Sprüchen, der Gewalt und dem Theaterblut sowie der zur Schau gestellten (und leider viel zu oft schlecht nachgeahmten) Coolness stets etwas überschattet wird.

In The Hateful Eight kann man das bereits an der szenischen Reduktion festmachen. Ein Western, der unter anderem Sergio Corbuccis Il grande silenzio (1968) mit John Carpenters The Thing (1982) kurzschließt, aber aus den Schneelandschaften erstaunlich wenig Nutzen zieht. Denn abgesehen vom verschleppten ersten Teil der Handlung im Inneren einer Kutsche, in dem sich vier Charaktere eine Art Aufwärmrunde liefern, spielt Tarantinos Film in Minnie's Haberdashery. Ein schönes, lautmalerisches Wort für eine gottverlassene Einkehrmöglichkeit im Niemandsland von Wyoming.

Für einen auf 70-mm-Breitbildformat gedrehten – und nur in ausgewählten Kinos (in Österreich exklusiv im Gartenbaukino) in der Form zu sehenden – Film ist dies eine ungewöhnliche Wahl. Sie lässt die kriminellen Energien der Figuren in einem hintersinnigen Kammerspiel aufeinanderprallen, das durch die Kameraarbeit von Robert Richardson gleichwohl nichts von seiner filmischen Qualität einbüßt.

Der Raum ist ziemlich langgestreckt, und wichtiger noch: Es lauern darin ausnahmslos verschlagene Figuren auf ihren Moment. Jede hegt ein Geheimnis, spielt mit gezinkten Karten. Vorder- und Hintergrund des Bildes, das Sichtbare und das Verdeckte sind hier zu gleichen Teilen bedeutsam. Tarantinos Figuren sind geübte Redner, die hier wie schon in der berühmten Pubszene aus Inglourious Basterds die Dinge lange in der Schwebe halten. The Hateful Eight betreibt Eskalation im Schneckentempo.

Eine Art langsamer Zoom auf die gewaltvollen Traumata einer Nation – etwas, was den Filmemacher schon in Django Unchained beschäftigte – ist The Hateful Eight auch inhaltlich. Gewiss, es gibt die offeneren und die versteckteren Reverenzen, Kurt Russells John-Wayne-Verschnitt eines Kopfgeldjägers, die Musik von Ennio Morricone, ein furioser, dämonisch tänzelnder Score, den Carpenter für The Thing damals nicht verwendet hat, noch andere Namen, die sich auf fast vergessenes Westernpersonal beziehen.

Doch wesentlicher als eine solche Verbeugung oder Eingemeindung ist bei Tarantino mittlerweile die Frage, wohin sie führt: Ging es in den letzten Filmen um einen Racheakt, mit dem sich Opfer ins Recht versetzen konnten, als kathartische Neuerfindung der Geschichte, tauscht er diese Gangart nun gegen ein Gemetzel unter fiesen Gestalten aus. Rassisten und Mörder, die nichts nur ansatzweise Einnehmendes an sich haben.

Ein Inferno, das sich mit der Zwangsläufigkeit einer Zerstörungsfantasie vollzieht – allerdings mehr im Modus eines Agatha-Christie-Plots. Nicht einmal dem Kaffee ist an diesem Ort zu trauen. Beleidigung provoziert Beschuldigung, auf blutgetränkte Brechanfälle folgen malträtierte Körperteile. Kurz nach dem Bürgerkrieg ist in dieser Truppe von Abraham Lincolns Idee einer geeinten Union nichts zu spüren. Von den gesitteten Idealen des Präsidenten bleibt nur ein Brief in den Händen des Majors Marquis Warren (Samuel L. Jackson), der größte Witz von allen.

Keine Halterung der Moral

The Hateful Eight ist Tarantinos dunkelster Film, trotz aller Scherze, an denen es auch nicht fehlt. Nihilistisch ist er deshalb nicht, es fehlt bloß die Halterung jedweder Moral. Am anschaulichsten sieht man das an Warren, dem Afroamerikaner in der Runde, der dem gängigen Helden noch am nächsten kommt. In der vielleicht besten Szene des Films tischt er eine unglaublich sadistische Geschichte auf – er ist kein Guter, auch wenn wir uns nichts mehr wünschen.

Ähnliches gilt für Daisy Domergue, die Frau, die an den Galgen soll. Jennifer Jason Leigh spielt sie mit stumpfer Freude an dreckigen Grinsern, ein richtiges Luder, das eine Ladung an Schlägen nicht zum Schweigen bringen kann. In beiden Fällen arbeitet Tarantino offen gegen Darstellungsweisen an, die Figuren politisch korrekt verkürzen. Er gesteht ihnen ein Maß an Freiheit zu, das Sehgewohnheiten irritieren kann – selbst die Coolness, für die er so beliebt ist, bleibt zeitweise auf der Strecke. Es ist diese Konsequenz, die The Hateful Eight auszeichnet: Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ganz bestimmt. (Dominik Kamalzadeh, 27.1.2016)