Potsdam/Anchorage – Ein internationales Forscherteam hat an einem Flussufer im Norden Alaskas Erosionsprozesse bisher unbekannter Ausmaße festgestellt. In einer Region mit besonders viel Eis im Boden gräbt sich der Itkillik River pro Jahr 19 Meter tief in das Ufer. Dabei wird Material im Umfang von mehreren hunderttausend Kubikmeter abtransportiert, wie die Wissenschafter in einer nun im Fachmagazin "Geomorphology" erschienen Studie berichten.

"Diese Ergebnisse zeigen, dass das Tauen von Permafrost nicht ausschließlich langsam vonstatten geht, sondern seine Folgen auch kurzfristig und unmittelbar spürbar werden", meint Permafrostforscher Jens Strauss von der Potsdamer Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

Die Permafrostklippen verloren binnen vier Jahren fast 200.000 Kubikmeter Eis und Sedimente.
Foto: Mikhail Kanevskiy/UAF

80 Prozent Eis, 20 Prozent Sedimente

Er hatte gemeinsam mit Kollegen aus den USA, Kanada und Russland den Itkillik River an einer Stelle untersucht, an welcher der Fluss durch ein Plateau schneidet, dessen Untergrund zu 80 Prozent aus Eis und zu 20 Prozent aus gefrorenen Sedimenten besteht. "Dieses Bodeneis ist 13.000 bis mehr als 50.000 Jahre alt, reicht säulenartig bis in eine Tiefe von mehr als 40 Meter und hat die Uferzone des Flusses in der Vergangenheit stabilisiert", erklärt Strauss.

Wie die mehrjährige Forschungsarbeit der Wissenschaftler jedoch ergab, versagen diese Stabilisationsmechanismen, wenn zwei Faktoren aufeinandertreffen: wenn der Fluss über einen langen Zeitraum fließend Wasser führt und wenn die Uferlinie aus einer Steilklippe besteht, deren Front Richtung Süden zeigt und damit viel direktes Sonnenlicht abbekommt. "Auch wenn die Jahresdurchschnittstemperatur in dieser Region bei minus zwölf Grad Celsius liegt, wird es in der Sonne so warm, dass im Sommer Eisklumpen und Matsch in Strömen den Abhang hinabrutschen", berichtet Studien-Erstautor Mikhail Kanevskiy von der Universität Alaska Fairbanks.

Werden die Eisklippen im Sommer von der Sonne beschienen, läuft die Erosion im Rekordtempo ab.
Foto: Mikhail Kanevskiy / UAF

In vier Jahren 31.000 Quadratmeter Landfläche verloren

Insgesamt zog sich die rund 700 Meter lange und 35 Meter hohe Klippe im Zeitraum von 2007 bis 2011 um bis zu 100 Meter zurück. Dabei ging eine Landfläche von rund 31.000 Quadratmetern verloren. In Eis- und Erdmasse umgerechnet, trug der Itkillik River pro Jahr 180.000 Kubikmeter oder 70.000 Tonnen Material davon – darunter 880 Tonnen organisches Material (gebundener Kohlenstoff), das vorher im Permafrostboden gespeichert war.

Die Wissenschafter wurden zudem im August 2007 Zeuge, wie sich innerhalb weniger Tage bis zu 100 Meter lange und 13 Meter tiefe Risse im Plateau bildeten und ein 800 Quadratmeter großer Block in die Tiefe stürzte. "Ein solcher Abbruch läuft nach einem festen Muster ab. Zuerst taut der Fluss die Steilklippe an und spült eine Nische in ihren Sockel. Von dort ausgehend bilden sich entlang der großen Eissäulen Risse im Boden. Der Block löst sich anschließend Stück für Stück von der Klippe und stürzt ab", erklärt Jens Strauss.

Auf dem Plateau oberhalb des Itkillik River öffneten sich innerhalb weniger Tage riesige Spalten.
Foto: Mikhail Kanevskiy, UAF

Zum Glück liegt der Flussabschnitt mit den hohen Erosionsraten in einer nahezu menschenleeren Gegend, sodass weder Dörfer noch wichtige Bauten wie Straßen oder Brücken gefährdet sind. Strauss gibt das Ausmaß der Ufererosion dennoch zu denken: "Wie schnell sich eine Uferlinie zurückzieht, hängt in den Permafrostgebieten vom Eisgehalt im Boden und den geografischen Gegebenheiten ab. Angesichts der steigenden Durchschnittstemperatur in der Arktis zeigt unser Beispiel am Itkillik River aber schon mal, welches Tempo die Erosion aufnehmen kann." (red, 26.1.2016)