Eine Art Kampfarena: Für eine Entscheidung ist der Kellner im Schwarz-Weiß seines Anzugs zuständig.

Foto: Heribert Corn

"Zusammen oder getrennt?", will der Kellner wissen und scannt mit einer in vielen Jahren auf dem knisternden Kaffeehausparkett wie selbstverständlich gewordenen Teilnahmslosigkeit die leeren Tassen und Gläser auf dem Tisch, an dem der junge Mann und die junge Frau sitzen.

Er, ein wenig in sich zusammengesunken, mit wie zum Trotz vor der Brust verschränkten Armen, sie, eben noch über ihre Hälfte des Tisches gebeugt, innehaltend, eine Hand unter einen ihrer Oberschenkel gezwängt, mit der anderen ihre Brille in die Stirn schiebend, als hätte sie vorläufig genug gesehen. Befänden sich beider Hände mitsamt dem schmutzigen Geschirr auf dem Tisch, die Finger ineinander verschlungen, wäre diese Frage wohl überflüssig gewesen. Unangebracht wirkt sie auch so, bringt sie doch, angeblich ohne jede Absicht, etwas auf den Punkt, das herauszufinden den zwei jungen Leuten, seit sie sich hierhergesetzt haben, nicht gelungen zu sein scheint.

Für die beiden entpuppt sich der Mann in dem abgetragenen Smoking daher nicht so sehr als Kellner, sondern vielmehr als Magier, den eine Flaute in der Unterhaltungsbranche zwingt, hier aufzutreten, mindestens jedoch als Conférencier, dessen Erscheinen jegliches Umfeld vorübergehend in eine Bühne verwandelt.

Der junge Mann schaut angesichts der Frage, ob nun "zusammen oder getrennt" drein, als wäre er bei etwas ertappt worden, das ihm einigermaßen peinlich ist. Einigermaßen, weil er sich – um ehrlich zu sein – allmählich in einem Stadium befindet, in dem das Vermeiden von Peinlichkeit beinahe schon zu den vernachlässigbaren Kriterien zählt. Verdankt er es nicht ausgerechnet dieser Peinlichkeit und ihrem beständigen Einfordern von Diskretion, dass er nunmehr wie ein Häufchen Elend mit verschränkten Armen an einem Kaffeehaustisch sitzt und sich von einem finsteren Mystiker ohne einen Funken Taktgefühl daran erinnern lassen muss, worum es eigentlich gehe? Als hätten die restlichen Gäste diesen stellvertretend an ihren Tisch geschickt, um etwas Klarheit in diese Angelegenheit zu bekommen, ehe sie sich wieder ihren Gesprächen, der Lektüre oder der Mehlspeise würden widmen können.

Die junge Frau wirkt eher unangenehm berührt denn überrascht, als hätte etwas in ihr – etwas das sie selbst als komplett meschugge bezeichnen würde – geahnt, dass sich ihrer Miene ab einem bestimmten Grad an Intensität sogar die intimste Gefühlslage ablesen ließe. Ihrem Verständnis nach, wobei es sich eher um ein Einverständnis mit etwas handelt, das allgemein in Zweifel gezogen wird, symbolisiert der Kellner die Stimme der Vernunft, die daran erinnert, dass die eigene Zukunft und, nicht zu vergessen, die eines ihr lieben Menschen nun einmal eine Antwort auf diese Frage benötigen. Ein paar Sekunden lang überquert etwas Helles ihr Gesicht wie ein schwacher Strahl Wintersonne eine arg mitgenommene Skipiste, und für die Dauer dieses Hinwegschweifens erweckt die junge Frau den Anschein, mit hinreichend Aberwitz ausgestattet zu sein, um sich bei dem Herrn in Schwarz zu erkundigen, wie er diese Frage beantworten würde. Als fiele es einem Unbeteiligten leichter, eine Entscheidung zu fällen, deren Konsequenzen die davon Betroffenen nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Zeiten zu spüren bekämen. Und schon schließt sich die Wolkendecke wieder, und die junge Frau stößt in der Frage des Kellners auf die unbeabsichtigte Spiegelung ihrer und ihres Freundes Schlamassel, muss erkennen, wie dieses aus einem nüchternen Blickwinkel wahrgenommen wird. Bloß schemenhaft nämlich, ist die Spiegelfläche doch von unzähligen Berührungen verschmiert.

Fassungsloses Kopfschütteln

Der Kellner seinerseits scheint jedem Gast auf die ihm oder ihr gebührende Art und Weise zu begegnen. Manchen bringt er, ohne ihre Bestellung abzuwarten, einen Kaffee oder einen Tee, als wüsste er besser als sie selbst, was sie sich wünschen oder was ihnen guttäte. Anderen händigt er eine Zeitung aus, als stünde ihm gerade keine freie Minute für eine Plauderei zur Verfügung, und er bitte sie auf diese Weise, sich einstweilen mit sich selbst zu beschäftigen. Wieder andere ignoriert er und gibt ihnen damit zu verstehen, dass er sie hier nicht haben möchte. Man merkt es ihm nicht unbedingt an, aber er verfügt über eine eigentümliche Weisheit, die sich am deutlichsten im Unausgesprochenen offenbart. Umso überraschender sein Versuch, dem entscheidungsschwachen Pärchen behilflich zu sein – noch dazu in einer so herben, geradezu alttestamentarischen Manier.

Haben ihn die Bemühungen der zwei, möglichst keinen der übrigen Gäste etwas von ihrem Konflikt merken zu lassen, für sie eingenommen? Oder will er ihnen zu verstehen geben, sie möchten seinen Einflussbereich erst wieder aufsuchen, sobald ihr Verhältnis zueinander als geklärt bezeichnet werden könne? Sei es, um an separaten Tischen Platz zu nehmen oder ihre Hände, ineinander verschränkt, neben die Kaffeetassen auf den Tisch zu legen.

Die beiden schicken je einen Blick durch das Lokal. Der junge Mann einigermaßen befangen, als versichere er sich der Situation vorher, mag sein, um sich später daran erinnern zu können, dass hier nirgendwo Feindseligkeit gelauert habe. Sie angriffslustig, wenn auch mit einer eher verzweifelten Tapferkeit im Rücken, eine stumme, eine vorläufig noch ahnungslose Gegnerschaft musternd. Unterschiedlich allemal, wie von zweien, die kaum etwas gemeinsam haben und doch zusammengehören.

Und anders als das explosionsartige aufeinander Einreden, das der Kellner anfangs ausgelöst zu haben schien, einfach indem er ihnen den Rücken zugekehrt hatte. Als wäre sein hagerer Leib die Klappe einer Startbox, die sich mit seinem Kehrtmachen für zwei nur mit Mühe zurückgehaltene Rennpferde öffnet. Mit dem nicht unwesentlichen Unterschied, dass die beiden nicht hintereinander her, sondern aufeinander losgestürmt waren. Von da an hätte selbst ein mit kaum Gespür gesegneter Beobachter ihren Anblick zu deuten gewusst: gegenseitiges Ins-Wort-Fallen, Poltern, erstickte Schreie, giftige Blicke, Tränen (er), sarkastisches In-sich-hinein-Lachen, fassungsloses Kopfschütteln (sie). Zwischendurch gab es eine Unterbrechung, während der beide etwas tranken, um, durch die Getränke vorübergehend abgekühlt, ihre Auseinandersetzung unverzüglich wieder aufzunehmen: hinter Vorwürfen Deckung suchend, sämtliche Begehrlichkeiten in Anschlag gebracht.

Wer was gesagt hat

Wie es aussieht, ist es eher ihm zuzutrauen, sich, sollte es zu einer Eskalation kommen, unter den Gästen, die nicht belästigen zu wollen, er eben noch vorgegeben hat, nach jemandem zu erkundigen, der alles mitverfolgt habe. Sie hingegen würde wohl gesenkten Hauptes jegliches Urteil über sich ergehen lassen wie die geborene Sünderin. Für eine Entscheidung ist – darüber scheint Einigkeit zu herrschen – der Kellner im Schwarz-Weiß seines Anzugs zuständig. Kurz sieht es danach aus, als würden sowohl der junge Mann als auch die junge Frau darauf warten, dass der oder die jeweils andere antworte. Schließlich tun sie es dann zugleich, worin manche ein Happy End erkennen mögen, dabei jedoch außer Acht lassen, dass sowohl zusammen als auch getrennt im selben Moment zu hören ist. Wer von den beiden, was gesagt hat, bleibt unklar. Der Mann in Schwarz lässt einen Geldbetrag – wahrscheinlich mehr, als die Getränke ausmachen – in seiner riesigen Geldbörse verschwinden und wendet sich unbeteiligt ab, als ließe sich mit der entsprechenden Summe jeglicher Konflikt vorübergehend beilegen. Ohne das Wort noch einmal gegeneinander zu erheben, verlassen die jungen Leute das Kaffeehaus, als hätten sie den Kaffeehaustisch wie eine Art Kampfarena für eine gewisse Zeit gemietet, und die sei nunmehr abgelaufen. Stilvoll wäre es, wenn einer von ihnen "Ende" oder "Fortsetzung folgt" auf dem Rücken stehen hätte, aber das ist nicht der Fall. Bleibt also nur, in dem Schal, den der junge Mann schwungvoll über seine Schulter wirft, so etwas wie einen Vorhang zu erkennen. (Hanno Millesi, Album, 23.1.2016)