Im Klimaabkommen von Paris gibt es keine fixen Vorgaben für die Staaten mehr, sondern nur Absichtserklärungen. Das wird eine forcierte Klimapolitik erschweren, meint Schleicher

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STANDARD: Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen sollten Staaten beginnen, aus der fossilen Energiebereitstellung auszusteigen. Wird das ernst genommen?

Schleicher: Grundsätzlich basiert das Abkommen auf freiwilligen Zusagen der Staaten. Es gibt eine unterschiedliche Ernsthaftigkeit, das umzusetzen, und sehr unterschiedliche Motivationen. Ich sehe da vor allem China, immerhin zweitwichtigster Akteur in Klimaschutzfragen, das sich sehr bemüht. China verwendet vermutlich die globalen Klimavorgaben, um innenpolitisch leichter den Ausstieg aus der Kohle konsensfähig zu machen. Denn die bodennahen Belastungen durch die Kohle sind enorm. Die Bevölkerung beginnt, dagegen zu rebellieren. Da holt sich die chinesische Führung quasi internationale Rückendeckung für einen Ausstieg.

STANDARD: Aber in anderen Teilen der Welt ist das billige Öl eher kontraproduktiv für einen Ausstieg?

Schleicher: Natürlich steigen damit die Barrieren für das, was im Geist von Paris zu tun wäre. Vor allem in der EU, wo es ein Glaubwürdigkeitsproblem gibt.

STANDARD: Die EU war doch beim Kioto-Protokoll Anfang der 90er-Jahre Vorreiter beim Klimaschutz.

Schleicher: Das hat sich geändert. Die EU war beim Klimaschutz ganz vorne, und jetzt ist sie bestenfalls im Mittelfeld zu finden. Die freiwilligen Reduktionszusagen der EU bis 2030 – minus 40 Prozent auf Basis von 1990 – sind wirklich nichts Besonderes. Dank schwacher Konjunktur und warmer Winter sind wir schon 2015 bei minus 20 Prozent.

STANDARD: Aber in der EU-Roadmap bis 2050 geht man von einem Zurückdrehen der fossilen Energie um 80 bis 95 Prozent aus. Das ist praktisch eine Dekarbonisierung.

Schleicher: Das sind nur Kommissionsvorschläge, die nicht die Unterstützung der EU-Mitglieder haben. Die Widerstände sind da groß. Zum Beispiel in Polen, das sich nicht nur erfolgreich dagegen gewehrt hat, dass die EU mit ambitionierteren Vorschlägen in die Verhandlungen von Paris geht, sondern sogar das Ziel einer Dekarbonisierung blockiert. Die EU ist da nicht mehr handlungsfähig.

STANDARD: Sie sehen da also größer werdende Differenzen in der EU?

Schleicher: Ja. Allein dass es möglich war, dass die EU-Kommission die Extremsubvention des geplanten britischen Atomkraftwerks Hinkley Point genehmigt hat, spricht Bände. Da soll das Doppelte des derzeitigen Marktpreises subventioniert werden – und das über 35 Jahre. Aus Sicht der Politik hat es wahrscheinlich damit zu tun, dass man den Briten kein weiteres Argument für einen EU-Ausstieg geben wollte. Auch die Umsetzung der Energie- und Klimaziele 2030 ist weit von einem Konsens mit den Mitgliedsstaaten entfernt.

STANDARD: Ist es gut oder schlecht, dass die EU-Staaten mit dem Pariser Abkommen keine nationalen Klimaschutzziele mehr haben?

Schleicher: Ich denke, es ist schlecht für die Klimaschutzbemühungen, wenn es keine nachvollziehbaren nationalen Differenzierungen mehr gibt. Für einen ambitionierten Umweltminister wird es noch schwieriger, zu sagen, dass man von fossiler Energiebereitstellung Abstand nehmen muss. Es wird schwieriger, die nationale Politik für Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu positionieren.

STANDARD: Wie sieht es mit dem EU-Emissionshandel aus? Der wurde immer als so vorbildlich für die ganze Welt gelobt.

Schleicher: Auch der EU-Emissionshandel für Treibhausgase, der ursprünglichen Motivation nach der Kern der EU-Klimapolitik, steht vor dem Scheitern. Eine Reform ist notwendig, da es aufgrund von generöser Zuteilung in der Vergangenheit Überschüsse an Gratiszertifikaten gibt, die weit mehr als ein Jahresvolumen von dem ausmachen, was die EU-Industrie an CO2-Zertifikaten braucht. Deshalb ist der Preis auch unter acht Euro je Tonne und nicht bei 30, wie es notwendig wäre, damit der Emissionshandel wirkt. Alle bisherigen Versuche, bis 2020 diese Überschüsse abzubauen, haben nicht gegriffen, der Markt hat das sofort durchschaut.

STANDARD: Und in den USA? Die Republikaner versuchen ja, das Abkommen zu boykottieren.

Schleicher: In den USA führt die Obama-Regierung eine vehemente Auseinandersetzung mit der Mehrheit der Republikaner im Kongress, die jede Klimainitiative stoppen wollen. Andererseits beginnt in den USA eine technologische Revolution sich auszubreiten, sichtbar vor allem bei Elektromobilität, neuen elektrischen Speichern und ganz neuen Geschäftsmodellen im Energiebereich. Extrem innovative Personen wie Elon Musk mit seinen Tesla-Autos und einer Giga-Fabrik für Elektrobatterien stellen die Weichen.

STANDARD: Wie sieht es aber beispielsweise in Indien aus, das eine ähnliche Explosion bei den Treibhausgasen verzeichnen könnte wie in den vergangenen zehn Jahren China?

Schleicher: Auch in Indien könnte es zu wichtigen Weichenstellungen kommen: Wenn nämlich Indien seine nicht vorhandene elektrische Infrastruktur gleich von vorneherein mit erneuerbaren Energien aufsetzt, könnte das Land eine Technologiegeneration, nämlich die Kohlephase, gleich überspringen. So, wie es im Mobilfunk war, wo manche Schwellen- und Entwicklungsländer festnetzbasierte Telefonie einfach ausgelassen haben. Dafür gibt es eine hohe politische Bereitschaft. (Johanna Ruzicka, 22.1.2016)