Eine Frau gibt ihrem Säugling in der Registrierungsstelle des südserbischen Flüchtlingscamps Preševo das Fläschchen.

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Wien/Genf – Zum ersten Mal, seit im Vorjahr die Ankunftszahlen von Flüchtlingen und Migranten in Europa stark anwuchsen, sind Männer unter ihnen nicht mehr in der Überzahl. Laut UNHCR, dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen, waren 55 Prozent der heuer in Griechenland angekommenen Menschen Frauen und Minderjährige. Im vergangenen Juni lag ihr Anteil noch bei 27 Prozent, die Quote der Männer fiel im Umkehrschluss von 73 auf 45 Prozent. Die Zahl der Frauen stieg von elf auf 21 Prozent, jene der Kinder und Jugendlichen von 16 auf 34 Prozent.

Der Hauptgrund für die demografische Trendumkehr liegt laut UNHCR im Familiennachzug. Die im Vorjahr mehrheitlich angekommenen Männer würden nun versuchen, ihre Angehörigen nachzuholen.

Schlepper, die Sex verlangen

Während eine Fortsetzung dieser Tendenz das ungleiche Geschlechterverhältnis der Asylsuchenden in den Zielländern in Zukunft ausgleichen könnte, warnt die Flüchtlingsagentur vor den erheblichen Gefahren, denen Frauen aktuell auf den Fluchtrouten ausgesetzt sind. Für einen gemeinsamen Bericht mit dem United Nations Population Fund (UNPR) und der NGO Women's Refugee Commission (WRC) sprachen UNHCR-Mitarbeiter mit Frauen auf der Flucht. In den Interviews gaben mehrere Betroffene an, schon im Herkunftsland von Schleppern zu sexuellen Handlungen genötigt worden zu sein, um die Überfahrt nach Europa antreten zu können.

"Viele alleinreisende Frauen und Mädchen sind gänzlich exponiert und um den Schutz ihrer Familien oder Gemeinschaften beraubt", sagte Vincent Cochetel, der Vorsitzende des europäischen UNHCR-Büros. "Und auch jene, die mit Angehörigen unterwegs sind, sind oftmals Missbrauch ausgesetzt. Häufig zeigen sie Straftaten nicht an und erhalten so auch nicht die benötigte Hilfe und Unterstützung. Manche Frauen haben uns sogar erzählt, dass sie aus Verzweiflung heraus geheiratet haben", so Cochetel.

Gefahren bestehen laut dem Bericht aber auch in den Camps entlang der Fluchtroute. Die großen Lager an der Levante und in den Balkanstaaten seien nicht auf die Belegung durch unterschiedliche Gruppen ausgelegt; Männer, Frauen und Kinder müssen oftmals dieselben Sanitär- und Toilettenanlagen benutzen, auch schlecht beleuchtete Unterkünfte, und für jeden zugängliche Schlafbereiche beugen dem Risiko sexueller Übergriffe nicht vor. Grenzschließungen und die Einführung von Aufnahmelimits in den Transitstaaten würden zudem für Überbelegungen der Lager sorgen und so die Situation weiter verschärfen, heißt in dem Report.

Nach Kaiserschnitt entlassen

Darüber hinaus kritisieren die Organisationen den Umgang mit schwangeren oder stillenden Frauen in den medizinischen Anlaufstellen der Camps. So waren etwa unter den 128 Personen, die in einer einzigen Zwölfstundenschicht im mazedonischen Aufnahmezentrum Tabanovce vom Roten Kreuz betreut wurden, 16 schwangere Frauen. Oft verlassen sie selbst nach Kaiserschnittgeburten noch am gleichen Tag die Stationen und setzen ihre Reise unvermittelt fort. Stress und die äußeren Umstände würden außerdem vermehrt zu Komplikationen führen.

Neben notwendigen Anpassungen an der Infrastruktur der Lager empfehlen UNHCR, UNPR und WRC den stärkeren Einsatz von Sicherheits- und psychsozial geschultem Personal, Gynäkologinnen, Dolmetscherinnen und besserer Rechtshilfe. (Michael Matzenberger, 21.1.2016)