Manuela Vollmann: Es gibt eine Menge Know-how – nun sollte es gezielt genutzt werden.

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Die Willkommenskultur in Europa hat durch die jüngsten Ereignisse in Köln und anderen Städten einen gewaltigen Dämpfer bekommen. Die sexualisierte Gewalt, der Frauen an öffentlichen Plätzen ausgesetzt waren, hat mich tief getroffen, und die darauf folgenden Diskussionen mit teilweise pauschalierten Kulturbildern sowie andererseits Empfehlungen für Frauen haben mich mehr als befremdet. Nur der Vollständigkeit halber, denn dazu gab es ja bereits einen völlig berechtigten medialen Aufschrei, und weil es auch nicht oft genug gesagt werden kann: Keiner Frau ist im Sinne einer offenen und freien Gesellschaft mit Ratschlägen geholfen, die ihre Freiheiten einschränken, und sei die dahinterliegende Intention auch noch so gut.

Ich bekenne mich klar zur Gewährung von Asyl als Menschenrecht. Gleichzeitig ist es unsere Verantwortung, aus verschiedenen Perspektiven an Lösungen zu arbeiten. Aber welche Schritte können wir setzen? Bildung ist einer der zentralen Hebel, wenn es um die Gestaltung unserer Zukunft geht – keine neue Erkenntnis, aber anscheinend immer noch nicht zu Ende gedacht und noch nichts daraus gelernt. Die Herausforderungen, die auf die europäische Bildungslandschaft und damit vor allem auch auf die Erwachsenenbildner, Lehrer und Pädagogen zukommen, sind massiv, die Vorbereitungen darauf zu gering. Es gibt viel Know-how, bringen wir es gezielt und systematisch zur Anwendung.

Pädagogen unterstützen

Die im Rahmen der Bildungsberatung entwickelten und österreichweit gültigen Gender- und Diversitystandards könnten zum Beispiel auch in anderen Bereichen angewandt werden. Jahrzehntelang entwickeltes Know-how in Experteneinrichtungen wie Frauen- und Männerberatungsstellen, Einrichtungen für gendersensible Burschenarbeit sowie Migrantenberatungsstellen muss genutzt und verbreitet werden. Arbeitsmarktpolitische Einrichtungen, Kindergärten und Schulen, gehören unterstützt.

Befähigen wir unsere Trainer und Pädagogen zum bewussten Umgang mit Diversität im Sinne einer gleichstellungsorientierten Gesellschaft? Ich würde meinen, da geht noch mehr.

Es gibt sie bereits – die Bildungs- und Beratungsangebote, die erfolgreich neben den Lerninhalten auch gleichstellungsorientierte Werte vermitteln. Es geht mittlerweile nicht nur um die Aneignung von Fachwissen, sondern auch um die Vermittlung der entsprechenden offenen Wertehaltung als Grundlage einer freien Gesellschaft, die vor verbalen und körperlichen Übergriffen schützt.

Lassen wir uns durch diese Best-Practice-Beispiele inspirieren und diese Angebote entsprechend ausbauen bzw. verbreiten. Aus unseren Erfahrungen mit asylberechtigten Frauen, die wir im Zuge des Projekts "Kompetenzcheck berufliche Integration" auf die Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt vorbereiten, aber auch aus der täglichen Beratung von Frauen, die in Österreich geboren sind, weiß ich, dass jegliche berufliche Um- und Neuorientierung oder jegliche Aus- und Weiterbildung auch Fragen der gesamtfamiliären Situation und damit der Stellung der Frau aufwirft.

Partnerschaftliche Werte

Partnerschaftliche Aufteilung von Haus- und Betreuungsarbeit eröffnet den Frauen bessere berufliche Perspektiven. Männer, die durch ein wertekonservatives Weltbild geprägt sind, werden es in Zukunft immer schwerer haben, sich im beruflichen Umfeld zu integrieren. So weit, so gut. Nun sind die Trainer und Pädagogen auch im Sinne der arbeitsmarktpolitischen Integration gefordert, Wege aufzuzeigen, die Männern und Frauen den Eintritt in den und den Verbleib im Arbeitsmarkt ermöglichen, und dazu gehört als fixer Bestandteil die entsprechende Vermittlung der Grundlagen einer freien Gesellschaft.

Ich bin überzeugt, dass die europäische Bildungslandschaft einen ganz wesentlichen Beitrag zu gleichstellungsorientierter Integration leisten kann. Inhaltlich gezielte Investition in Bildung bringt nicht nur eine wert volle Kompetenzentwicklung unserer Pädagogen und einen Qualitätsschub für unser Bildungssystem, sondern kann einen wesentlichen Beitrag leisten, Integration in Österreich geschlechtergerecht, sozial verträglich und volkswirtschaftlich sinnvoll zu gestalten. Eine Investition, die auch demokratiepolitisch notwendig ist. (Manuela Vollmann, 26.1.2015)