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Rumäniens früherer Regierungschef Premier Adrian Nastase, wie er am 21. August 2014 ein Gefängnis in Bukarest verlässt. Mit drei Publikationen konnte er seine Haftstrafe verkürzen.

Foto: Reuters / Bogdan Cristel

Bukarest/Wien – Die Verkürzung von Haftstrafen durch das Verfassen "wissenschaftlicher Werke" dürfte rumänischen Häftlingen bald vereitelt werden. Angesichts des rekordverdächtigen wissenschaftlichen Eifers in Rumäniens Gefängnissen – 2014 erschienen 90, 2015 sogar 340 Bücher – erklärte die Justizministerin Raluca Pruna, dass das Phänomen "außer Kontrolle geraten" sei, und forderte die Abschaffung der Gesetzesverordnung, durch die für jede Publikation 30 Tage der verhängten Strafe gestrichen werden.

Obwohl die Gesetzesbestimmung seit Jahrzehnten gilt, stieg die literarische Produktion erst in den vergangenen Jahren so fulminant an, seit die Gefängnisse mit Ministern und Premierministern, Großunternehmern und Fußballclubbesitzern belegt sind.

"Er schreibt, und ich gewinne Tage"

So gab Gigi Becali, Eigentümer des Vereins Steaua Bukarest, unverhüllt zu, dass er die unter seinem Namen veröffentlichten Bücher nicht selbst geschrieben hat: "Die Gabe des Schreibens besitze ich nicht. Ich bestelle einen Universitätsprofessor ins Gefängnis, wir reden. (...) Er schreibt, und ich gewinne Tage. Wo liegt das Problem, wenn das Gesetz es zulässt?" Zwar müsse man unterschreiben, dass man kein Plagiat begeht, dafür drohe aber bloß eine Klage wegen Falschaussage, erklärt Becali, der seine verkürzte Haftstrafe bereits hinter sich hat.

Besonders effizient "freigeschrieben" hat sich auch der Medienmagnat Dan Voiculescu, der wegen Betrugs zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Er schrieb in eineinhalb Jahren Haft nicht weniger als zehn Bücher, darunter Titel wie Die Menschheit – wohin?, Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung oder Die Theorie des Wertes. Dabei muss Voiculescu aufgrund seines Alters ohnehin nur ein Drittel der verhängten Strafe tatsächlich absitzen. Zu den Begründern dieser Tradition gehört Rumäniens Expremier Adrian Nastase, der mit drei Publikationen seine Haftstrafe verkürzen konnte.

Werke kaum nachlesbar

Will man in den Genuss von Werken dieser "Gefängnisliteraten" gelangen, ist dies kaum möglich: Die Nationalbibliothek, bei der Verlage laut Gesetz alle Publikationen hinterlegen müssten, verfügt über nur drei davon. Ein Grund mehr für die Staatsanwaltschaft zu ermitteln und nicht nur die Häftlinge, sondern auch deren mutmaßliche Handlanger – Uni-Professoren, Verlage und Mitglieder der Gefängniskommissionen – ins Visier zu nehmen. Diese werden verdächtigt, systematisch an der Täuschung mitgewirkt und "konzertiert agiert zu haben, um den Anschein zu erwecken, die gesetzlichen Anforderungen seien erfüllt worden".

Sorgen bereitet das Phänomen auch Bildungsminister Adrian Curaj, der punktuelle Ermittlungen gegen jene Uni-Dozenten angeordnet hat, die die vorgeschriebenen Empfehlungen für die wissenschaftlichen Betätigungen der Insassen abgegeben haben. Aus einer Liste der beteiligten Lehrkräfte und Verlage geht hervor, dass Universitätsbedienstete mit Leitungsfunktionen, aber auch hohe Würdenträger der orthodoxen Kirche zu den "wissenschaftlichen Betreuern" zählten. (Laura Balomiri, 21.1.2016)