Durch steigende Mobilität wird es schwieriger, Freunde oder Großeltern in die Kinderbetreuung einzubeziehen, sagt Bernhard Riederer.

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Riederer: "Für Männer ist es vermutlich nach wie vor schwieriger, ihr Berufsleben nach der Familie auszurichten."

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Wien – Worin müssen künftig große Anstrengungen für Familien liegen, wie können benachteiligte Familien besser unterstützt werden? Im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprojekts "Families and Societies" setzte sich Bernhard Riederer vom Institut für Demografie der Akademie der Wissenschaften mit Fachleuten auseinander, die direkt Einfluss auf die Familienpolitik in ihrem Land haben. Wissenschafterinnen, Familienpolitiker und Expertinnen von NGOs diskutierten über Risiken und Probleme für Familien. Riederer hat in Zusammenarbeit mit Kolleginnen des Instituts für Demografie und der Uni Stockholm diesen Diskussionsprozess begleitet.

STANDARD: Flexibilisierung im Arbeitsleben war in den Diskussionsrunden laut Ihrem Bericht ein großes Thema. Schließt das nicht viele Berufsgruppen aus, in denen flexible Arbeitszeiten schwer umsetzbar sind?

Riederer: Flexibilität ist natürlich nicht in jedem Berufsfeld im selben Ausmaß möglich, etwa in Krankenhäusern. Aber die Veränderungen des Arbeitsumfeldes, wie sie in den Diskussionsrunden thematisiert wurden, sind breiter zu verstehen: Es ging darum, die Arbeitnehmerin oder den Arbeiternehmer nicht nur einzeln zu betrachten, sondern zu sehen, dass hinter diesen Personen oft eine Familie mit bestimmten Bedürfnissen steht. Sowohl Führungskräfte als auch Kollegen sollten hier mehr Verständnis entwickeln und Freiräume schaffen.

STANDARD: Fällt diese Wahrnehmung von Menschen mit Familien bei Männern noch immer deutlich schwerer?

Riederer: Ja, durchaus. Für Männer ist es vermutlich nach wie vor schwieriger, ihr Berufsleben nach der Familie auszurichten. Andererseits herrscht in Bezug auf Frauen oftmals die Erwartung vor, dass der Fokus im Zeitmanagement einer Frau auf der Familie liegt, was wiederum Karrierefortschritte behindert.

STANDARD: In den Diskussionen gab es ein ambivalentes Verhältnis dazu, wie sich das stets erstrebte Wirtschaftswachstum zum Familienleben verhält. Welche Probleme könnte Wirtschaftswachstum für Familien schaffen?

Riederer: Einige wiesen auf Schwierigkeiten hin, wenn das Wirtschaftswachstum ausbleibt: Es sei schwerer, den Wohlfahrtsstaat aufrechtzuerhalten oder notwendige Unterstützungsleistungen für Familien auszubauen. Probleme wurden etwa gesehen, wenn Löhne stagnieren oder es zu Arbeitslosigkeit kommt. Wirtschaftswachstum muss allerdings nicht automatisch zu Jobwachstum und höheren Löhnen führen. Und wenn durch die höhere Produktivität mehr Stress hervorgerufen wird, die Arbeit noch weiter in den Vordergrund und die Familie nach hinten gerückt wird, dann kann Wirtschaftswachstum für Familien zum Problem werden.

STANDARD: Was könnte dem entgegenwirken?

Riederer: Wenn sich etwa Männer stärker an Kinderbetreuung und Hausarbeit beteiligen und so Druck von Frauen wegnehmen. Oder politische Maßnahmen wie der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen – das kann negative Seiten von Wirtschaftswachstum abfedern.

STANDARD: Viele gut verdienende Eltern kaufen Dienstleistungen für die Familie zu, zum Beispiel durch Putzkräfte oder Babysitter. In den USA passiert das in viel größerem Ausmaß. Gibt es in Europa dahingehend einen Trend?

Riederer: Das ist schwer zu sagen, weil die europäischen Länder ganz unterschiedliche staatliche Optionen bieten. Zum einen ist die Kinderbetreuung unterschiedlich stark ausgebaut. Zum anderen hat man in manchen Ländern die Wahl, ob man staatliche Unterstützung in finanzieller Form oder in Form von Dienstleistungen wie Kinderbetreuung erhalten will. In Ländern wie Frankreich wird mittlerweile darüber diskutiert, ob durch die Unterstützung des Zukaufs privater Putzkräfte oder Babysitter das Problem lediglich auf die nächste Ebene verlagert wird – also hin zu jenen Frauen und Familien, die weniger privilegiert sind und diese Arbeit leisten.

STANDARD: Welches Familienbild ist bei Expertinnen und Experten aus dem Bereich Familie das vorherrschende?

Riederer: Die Familienbilder waren sehr unterschiedlich. Während für die einen selbstverständlich ist, dass es eine größere Diversität der Familienformen gibt und geben wird – und sie fordern dafür auch Akzeptanz ein –, betonen andere, Toleranz bedeute auch, die Wahl eines traditionellen Familienmodells zu akzeptieren. Eine dritte Gruppe ist der Ansicht, dass das traditionelle Familienbild als Ideal auch in Zukunft dominant bleiben wird. Zum Teil kann man solche Unterschiede regional verorten. Für Fachleute aus Stockholm war in den Diskussionen Gendergerechtigkeit eine Selbstverständlichkeit. In den Diskussionsgruppen in Warschau, Wien oder Madrid sah das schon anders aus. In diesen wurden stärker die Vor- und Nachteile dieser neuen Verhältnisse diskutiert. Für Fachleute aus Madrid war etwa auch die Wirtschaftskrise großes Thema, die Zukunftsszenarien waren in dieser Hinsicht deutlich negativer.

STANDARD: In puncto Kinderbetreuung ist oft nur von zwei Optionen die Rede: Entweder gibt es sie in professioneller Form, oder die Kinder werden von den Eltern selbst betreut. Es gibt aber auch den Wunsch, dass sich vermehrt Freunde oder Verwandte um Kinder kümmern, die nicht ihre "eigenen" sind, Stichwort "soziale Elternschaft", oder?

Riederer: Wenn es um die konkreten Situationen von Alleinerziehenden geht, wird dieses Thema sehr wohl diskutiert. Ebenso in Bezug auf größere Familien mit mehr als drei Kindern. Für diese beiden Gruppen ist ein verbreiteter Familienverband äußerst wichtig. Es gibt aber auch Entwicklungen, die vielen Sorgen machen: Es ist schwierig, über größere Distanzen Großeltern oder Freunde miteinzubeziehen, Distanzen, die aufgrund von höheren Mobilitätsanforderungen entstehen. Freunde und Familie sind mitunter auf unterschiedliche Nationen verteilt, und das könnte Effekte auf die Verbundenheit haben oder eine solche erst gar nicht entstehen lassen. (Beate Hausbichler, 20.1.2016)