Die Tageszeiten lassen sich auf North Island an einfachen Dingen ablesen. Morgens schnackseln die Riesenschildkröten auf dem Rasen, mittags klettern die Flughunde im Takamakabaum am Hauptstrand herum, und nachmittags schweben Adlerrochen wie elegante Flugobjekte in der flachen Bucht davor. Ah ja, Menschen gibt es auch, aber die sieht man kaum.
North Island ist eine der exklusivsten Privatinseln auf den Seychellen, ach was, der Welt. Gerade einmal elf Villen stehen für jeweils zwei Gäste bereit. Oft bleiben diese auf den bis zu 400 Quadratmeter großen Anwesen für sich, sodass der weiße Strand mit dem türkisblauen Meer wie eine wahr gewordene Fototapete aussieht. Eine Robinson-Crusoe-Fantasie mit Rund-um-die-Uhr-Service.
North Island ist dank seiner an Klischees grenzenden Schönheit das perfekte Honeymoon-Resort. Die Reichen und Möchtegern-Feinen düsen per Helikopter ein, wenn sie verliebt, verlobt oder verheiratet sind. Das königliche Posterpaar Kate und William hat 2011 seine Flitterwochen auf der Insel verbracht, beinahe bodenständig in Villa 4 – und nicht in der extragroßen mit der Hausnummer 11. Dort waren allerdings Angelina Jolie und Brad Pitt einmal einquartiert und empfahlen das Resort den Frischverheiraten Amal und George Clooney weiter. Ihre Hochzeitsreise führte sie ebenfalls auf das zwei Quadratkilometer große Eiland.
Drei Hügel, viel Urwald und Strand. Auf der Insel darf man sich ruhig wie Adam und Eva fühlen, noch nicht vertrieben aus dem Paradies, und an der eigenen Zukunft feilen. Man ist verführt, das gemeinsame Leben von hier aus zu planen – und sofort auf dem Tropenholzbett mit Meerblick damit zu beginnen. Die Natur herum (die Brunftgrunzer der Schildkröten!) befeuern diese Gedanken allenthalben.
Nicholas Solomon, der General Manager des Resorts, erkennt die Flitterwöchner an ihrem Rhythmus. Sie kämen an, spannten das Seil vor ihre Villa, welches für die Angestellten bedeutet "unter keinen Umständen betreten!", und ließen sich für drei Stunden erst einmal nicht blicken. Danach wird gegessen, gern auch in der Villa, damit die Gäste es nicht so weit haben, wenn noch einmal Familienplanung zum Thema wird. Besonders eben in Villa 11 am Ende der Bucht, wo über zwei Etagen Treppen direkt an den weißen Sandstrand führen und die Couchsitzecke unter freiem Himmel so groß ist, als könnte der UN-Sicherheitsrat darauf tagen. Im Posthochzeitshochgefühl scheint der Preis von minimal 3000 Euro pro Person dem Platzangebot und Hormonniveau angemessen.
Für Prominente ist die Insel ein Traum – gerade weil sie schwer zu erreichen ist. Nur Hubschrauber landen auf der Insel, es gibt nur eine Firma, die Flüge von der 30 Kilometer entfernten Hauptstadt Mahé organisiert – und die lässt keine Paparazzi über North Island fliegen. Würde ein verdächtiges Boot mit Teleobjektiv vor der Bucht kreuzen, könnte der General Manager direkt beim Tourismusminister anrufen. Die Seychellen legen Wert auf Diskretion – und schicken in solchen Fällen schon mal die Küstenwache.
Nur vorübergehend
Ist North Island nun ein Wochenasyl für gestresste Promis? Überhaupt nicht. Mittelständische Unternehmer aus Schweden, Frankreich, Russland und Deutschland kommen nach North Island. Ein israelischer Gast weilte 32 Tage auf der Insel, was der bisherige Rekord ist. Ein anderer wollte vier Villen für 18 Monate mieten, was die Geschäftsführung höflich ablehnte. North Island soll ein vorübergehendes Erlebnis sein. Nachts auf der Terrasse frühstücken, nackt am Privatpool lunchen, im Indischen Ozean den eigenen Bonitofisch fangen. Hätte man jeden Tag dieses Panorama vor Augen, vielleicht würde man zu verwöhnt und nörgelig werden. Was soll das heißen, die Mangos sind ausgegangen? Knapp 150 Bedienstete versuchen, jeden Wunsch zu jeder Uhrzeit zu erfüllen. Nur eines wird mit sofortiger Verbannung bestraft: wenn man betrunken die Seychellen-Riesenschildkröten anfährt.
Das ist Brutus, dem 180 Jahre alten Maskottchen des Privatresorts, passiert. Er wurde zu einem Kollateralschaden des Luxustourismus. Ein Gast fuhr mit seinem Buggy das Tier an, das auf dem Weg döste. Am nächsten Tag warf der Hotelmanager den Gast raus – da half auch der hohe Kontostand nicht. Brutus trägt seit jener Nacht reflektierende Klebestreifen auf seinem Panzer.
Verpflichtung gegenüber der Natur
North Island hat nicht nur gegenüber seinen romantisch veranlagten Urlaubern eine Verpflichtung, es ist auch ein Naturschutzprojekt. Nur ein geringer Prozentteil der Insel ist bebaut, der Rest ist für Umweltschutz und Renaturierung reserviert. Für alle Gäste Pflicht ist die Gepäckkontrolle bei der Ankunft. In einem gesonderten Raum werden Koffer und Taschen nach möglichen Schädlingen durchsucht. Was wohl Victoria Beckham gedacht hat, als in ihrem Gepäck nach Ungeziefer gesucht wurde?
Taryn aus Südafrika hat Biologie in Pretoria studiert und arbeitet seit zwei Jahren auf North Island. Auf Erkundungen erzählt die 28-Jährige, wie aus der eintönigen Vegetation ein ursprüngliches Paradies wurde. Lange war die Insel eine Kokosnussplantage. Noch heute zeugen Palmenreihen hinter dem Hauptstrand davon. Die Monokultur dezimierte die heimische Pflanzenwelt. Als die Insel 1997 gekauft wurde, hieß es über fünf Jahre hinweg: roden, neu pflanzen.
Rattenplage im Paradies
Noch schlimmer als den Pflanzen ging es der endemischen Fauna. Mit den Plantagenarbeitern kamen die Ratten. Viele Vogelarten starben auf der Insel aus, weil die Nager bis in die Bäume kletterten und dort die Nester plünderten. In einem aufwendigen Kampf wurden die Schädlingsbekämpfer der Plage Herr. Taryn zeigt ein gruseliges Schwarzweißfoto: ein bärtiger Mann, der in jeder Hand etwas hochhält. Was zuerst wie ein vertrockneter Blumenstrauß aussieht, entpuppt sich als zwei Dutzend Ratten, tot am Schwanz festgehalten. Inzwischen brüten Seevögel wie der Weißschwanz-Tropikvogel und Seeschwalben wieder an den Klippen, die Meeresschildkröten legen Eier in den warmen Sand, ohne Feinde zu befürchten.
Die meisten Gäste werden keine Gedanken daran verschwenden. Es ist schon hart genug, den eigenen Rhythmus zwischen Spa, Schnorchelkurs und Weinverkostung zu finden. Und ständig dieses Abgleichen im Kopf! Hat David Beckham denselben Knopf bedient, um sich einen Espresso in der Villa zu machen? Ob Salma Hayek auch einmal gegen die schwere Glastür geknallt ist, die das Bade- vom Schlafzimmer abtrennt? Und was wohl Justin Timberlake gemacht hat, als seine jetzige Frau Jessica Biel nach Karettschildkröten getaucht ist? Es sind Schlüssellochfantasien, von denen North Island bei aller Grandezza lebt. (Ulf Lippitz, RONDO, 22.1.2016)