Die Darsteller spielen im Stück "Gala" sich selbst.


Foto: Lorenz Seidler / eSeL.at

Wien – Eine Gala ist etwas Festliches. Im Ballett werden an glanzvollen Gala-Abenden für gewöhnlich Gustostücke mit hochkarätigen Spitzentänzern präsentiert. Die jüngste Arbeit Gala des zeitgenössischen Choreografen Jérôme Bel (51), zu sehen bis Freitag im Tanzquartier Wien, ist ebenfalls festlich. Aber auf eine vielleicht etwas unerwartete Art.

Auftritt für eine neunzehnköpfige Gruppe sehr unterschiedlicher Österreicher zwischen sechs und sechzig Jahren. Sie zeigen insgesamt nicht weniger als siebzehn Tänze. Eingeleitet aber wird diese Gala mit einem Präludium in Form eines "Defilees" von Diabildern.

Jedes Foto zeigt eine Bühne mit Zuschauerbereich. Keiner dieser Innenräume gleicht dem anderen. Ihre Ausstattung reicht von protzig über elegant und steril bis hin zu intim oder armselig. Auch Freiluftbühnen ziehen vorbei: mit dabei sind die griechische Arena, eine Meeresbühne und zwei Reihen billiger Plastiksessel im Gras unter Bäumen.

In der Folge wird eine Tafel mit der Aufschrift "Ballett" aufgestellt. Der Auftakt beginnt – das eigentliche Defilee, nämlich jenes der Darsteller. Diese erfüllen zwei schwere Aufgaben. Erst zeigt einer nach dem anderen in der Mitte der Bühne eine Pirouette, anschließend legen alle einen Grand Jeté hin. Ja. So geht's auch. Genau hier justiert der Choreograf die Erwartungen des Publikums. Das ist keine Leistungsschau wie Supertalent im Fernsehen. Hier geht es um die Menschen. Um ihre Vielfalt innerhalb der Gruppe und um die persönlichen Eigenheiten im einzelnen Auftritt.

Daher spielen die Darsteller sich selbst. Die meisten von ihnen tanzen so gut wie die meisten im Publikum auch. Manche können nicht gut sie selbst sein. Einer hat das Down-Syndrom. Eine sitzt im Rollstuhl. Einer ist klein, eine ziemlich füllig. Verschiedene Hautfarben, Eigenschaften, Charismen und Attitüden. All das beginnt zu schimmern und zu schillern beim Walzertanz, bei der gemeinsamen Improvisation, beim Moonwalk à la Michael Jackson oder bei der Verbeugung und als "Kompanie".

Die erste Leistung dieser Darsteller ist ihre bloße Präsenz in dieser exponierten Situation. Ihre zweite Leistung ist, bei sich selbst zu bleiben. Die nächste Leistung liegt dann auch schon beim Publikum. Das hat einen schwierigen Blickwechsel zu bewältigen: sich nicht auf das Offensichtliche, sondern auf die darin liegenden Besonderheiten zu konzentrieren.

Wieder schafft es Jérôme Bel, mithilfe eines einfachen, aber bis ins Letzte durchdachten Grundmusters ein Stück gesellschaftliche Realität spürbar zu machen. Seit mehr als zwanzig Jahren dekonstruiert der heute weltbekannte Künstler den Tanz, das Theater und den Körper. Dabei hat er Methoden entwickelt, das, was Menschen mögen, was sie können und wie sie sind, so zu zeigen, dass sich das Publikum darin wiederfindet.

Bel gehört zu jenen Künstlern, die eine Choreografie der Ethik ohne erhobenen Zeigefinger und erhebende Charity auf die Bühne bringen. Das provoziert alle, die im Tanz vor allem den Hochleistungssport schätzen, genauso wie solche, die betulich klagen, hier würden die Darsteller bloßgestellt. Die Mehrheit des Tanzquartier-Publikums allerdings hat diese Gala, wie dem anhaltenden begeisterten Applaus am Ende des Stücks zu entnehmen war, sehr gut verstanden. (Helmut Ploebst, 14.1.2016)