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Warschau – und damit Premierministerin Beata Szydło – steht in der Europäischen Union seit Wochen wegen umstrittener Gesetze im Medien- und Justizbereich in der Kritik.

Foto: Reuters/Kacper Pempel

Zum ersten Mal in der Geschichte der Union setzt die EU-Kommission gegen ein Mitgliedsland ein mehrstufiges Prüfverfahren wegen eines möglichen "bewussten und mehrfachen" Verstoßes gegen Grundwerte der Gemeinschaft in Gang. Das bestätigte der für dieses Thema zuständige Vizepräsident Frans Timmermans am Mittwoch nach einer Sitzung des Kollegiums in Brüssel.

Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Zwischen der neuen nationalkonservativen Regierung in Warschau und der Kommission – aber auch einigen Regierungen – tobt seit Wochen ein Streit darüber. Timmermans selbst hatte vor dem Jahreswechsel in zwei geharnischten Briefen darauf hingewiesen, dass es sowohl bei Umbesetzungen von Mitgliedern des Höchstgerichtes in Warschau wie auch bei Neubesetzungen in öffentlich-rechtlichen Medien berechtigte Zweifel gebe. Er verlangte Auskunft.

Die polnische Regierung hatte die Vorwürfe vehement zurückgewiesen und ihrerseits der Kommission Fehler vorgeworfen. Timmermans trat am Mittwoch nach den Beratungen mit einer Stunde Verspätung vor die Presse, was auf eine unüblich lange Debatte der 28 Kommissare schließen ließ. In seiner Wortwahl gab sich der Vizepräsident betont zurückhaltend. Die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und die Garantie der Grundrechte seien in der Union von außerordentlich großer Bedeutung. Polen sei "ein extrem wichtiger Mitgliedstaat".

Neue Beratungen im März

Weil es auch nach den Antwortbriefen aus Warschau aber offene Punkte "vor allem in Bezug auf die Höchstrichter" gebe, weniger bei der Besetzung von Leitungsposten in Radio und Fernsehen, habe die Kommission ihn beauftragt, eine weitere Prüfung und eine "vorläufige Bewertung" der rechtlichen Lage vorzunehmen. Dieser Bericht werde im März vom Kollegium erneut beraten.

Timmermans betonte, dass es dabei "nicht um eine Anklage" gehe, im Gegenteil wolle die EU-Zentralbehörde mit Warschau "die Probleme im Dialog lösen". Dafür stehe er stets zur Verfügung, wolle nach Warschau reisen, oder sich mit polnischen Vertretern in der EU-Hauptstadt treffen.

Kein Widerspruch

Der Frage, ob es sich dabei auch um die Einleitung des Mitte 2014 eingeführten "Prüfmechanismus zur Rechtsstaatlichkeit" handle (siehe Wissen), oder er weiter im Auftrag von Kommissionschef Jean-Claude Juncker agiere, wich der Sozialdemokrat aus. Er erklärte aber, dass seinen Ausführungen niemand im Kollegium widersprochen habe.

Dies führte zwischenzeitlich in Brüssel zu ein wenig Verwirrung. Denn es hieß, dass der Christdemokrat Juncker sich für ein moderateres Vorgehen aussprach, dass über das formale Verfahren erst später – nach weiteren informellen Kontakten – entschieden werde. In der Praxis macht das wenig Unterschied. Zunächst ginge es ohnehin vor allem darum, Fakten zu sammeln, mit den Regierungsbehörden in Warschau die Lage zu klären. Richtig "ernst" würde es für Polen erst, wenn die gesamte Kommission offiziell feststellt, dass gegen die Rechtsstaatlichkeit faktisch verstoßen wurde.

Praktisch heißt das, dass Monate vergehen. In der Substanz werde es vor dem Sommer kaum eine Entscheidung geben, wurde dem Standard bestätigt. Gelassen gab sich ein Sprecher der polnischen Regierung: "Eine Standardprozedur, wir sollten da nicht dramatisieren." (Thomas Mayer aus Brüssel, 13.1.2016)