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Nicht Großbankiers, sondern spleenige Außenseiter stehen im Zentrum von "The Big Short" – wie Christian Bale als zahlenkundiger Manager.

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US-Regisseur Adam McKay auf Robert Altmans Spuren.

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Wien – Wenn Adam McKay einen Film zur Bankenkrise 2008 macht, sollte niemand ein todernstes Drama erwarten. Also sitzt in The Big Short, der Verfilmung von Michael Lewis' gleichnamigem Sachbuch, die australische Schauspielerin Margot Robbie in einem Whirlpool und erklärt den Zuschauern champagnerschlürfend komplizierte Finanzprodukte. Der US-Regisseur gilt in Hollywood seit Anchorman und Ricky Bobby (beide mit Will Ferrell) als Spezialist für brachialen Humor. Er ist damit keine naheliegende Wahl für einen Film über einen Skandal, der Millionen von Amerikanern ihre Ersparnisse kostete.

Doch McKay hat das Kunststück vollbracht, ein trockenes und nicht nur für Laien schwer durchschaubares Thema im Format des Mainstreamkinos zu erzählen. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe Hedgefonds-Manager und Investmentbanker, die den Crash vorhersahen und an der Börse auf den Zusammenbruch des Hypothekenmarktes spekulierten. Mit einem Starensemble um Christian Bale, Ryan Gosling, Steve Carell und Brad Pitt rekonstruiert The Big Short die Hintergründe der Finanzkrise in einer höchst unterhaltsamen Tour de Force zwischen satirischem Furor und menschlicher Tragik.

STANDARD: Sie haben lange als politischer Kolumnist und als Autor für Michael Moore gearbeitet. Wie groß war die Umstellung, nach Komödien einen ernsten Film zu drehen?

McKay: Ganz ehrlich, es war eine innere Befreiung, sich von den Restriktionen der Komödie zu lösen, wo jede Szene auf eine Pointe hinauslaufen muss. Beim Schreiben des Drehbuchs konnte ich mich endlich mal auf das Wesentliche konzentrieren.

STANDARD: Wie gingen Sie bei der Adaption von Lewis' Buch vor?

McKay: Ich mochte die Charaktere im Buch auf Anhieb, sie waren wie fürs Kino geschrieben. Der schwierige Teil bestand darin, die Fachbegriffe und die Hintergründe der Finanzkrise in die Handlung einzuarbeiten. Ich musste diese Fakten mit den Geschichten der Protagonisten verbinden. Zwei Entscheidungen waren hierfür maßgeblich: Ich beschloss einerseits, die Charaktere in die Kamera sprechen zu lassen. Das gab mir die Möglichkeit, so viele Informationen wie nötig im Film unterzubringen. Der andere wichtige Schritt war die Wahl von Ryan Goslings Figur als Erzähler.

STANDARD: Warum entschieden Sie sich dafür, die Schauspieler in die Kamera sprechen zu lassen?

McKay: Der Film sollte in einen Dialog mit dem Publikum treten. Speziell in den USA nimmt die Diskrepanz zwischen den sogenannten Experten und der Bevölkerung immer weiter zu. Wenn dieser Graben erst unüberwindbar geworden ist, wird es gefährlich. Die Amerikaner haben schon blind darauf vertraut, dass die Regierung wüsste, warum wir in den Irak einmarschierten. Mit der Finanzkrise verhielt es sich ähnlich. Wie sich im Nachhinein herausstellte, wussten weder die Banken noch die Regierung, was sie taten.

STANDARD: Wie findet man bei so einem Thema die Balance zwischen Drama und Komödie?

McKay: Ich hatte beim Schreiben kein Genre im Hinterkopf. Das ist das Schöne an wahren Geschichten: Das Leben existiert nicht innerhalb von Genrekonventionen. Für mich besteht der Film aus zwei Hälften. Wir lernen die Figuren kennen, als sie herausfinden, dass die Banken einem Irrtum aufgesessen sind. Es liegt eine geschäftige Aufregung in der Luft, die Szenen sind komisch. Und ungefähr während der Konferenz in Las Vegas beginnen sie zu realisieren, dass das System die Weltwirtschaft zum Einsturz bringen wird. Ab diesem Punkt nimmt der Film eine Wendung zum Dramatischen.

STANDARD: Sie gelten als Fan von Dokumentarfilmen. Warum haben Sie sich dann für das Spielfilmformat entschieden?

McKay: Ich fand die dramatische Form interessanter. Ein großer Reiz bestand für mich darin, die Charaktere zu fiktionalisieren, dadurch funktioniert der Film erst. Außerdem hat ein Spielfilm mit Stars eine andere Reichweite als ein Dokumentarfilm.

STANDARD: Trotzdem spielt Ihr Film mit dokumentarischen Stilmitteln.

McKay: Es gab bereits einige Filme zum Thema Finanzkrise. Die meisten von ihnen waren formal streng und sahen wichtig aus. Aber The Big Short handelt nicht von der Sorte Banker, die in großen Büros mit Marmorwänden saßen. Es waren Außenseiter, die unkonventionell dachten. Darum war es mir wichtig, dass der Film eine Nervosität ausstrahlt. Die Leute standen ständig unter Strom. Ich habe mich dabei an California Split von Robert Altman, einem Zockerfilm, und Die Unbestechlichen von Pakula orientiert. Diese Filme sind roh, leben von der Spannung der Bilder.

STANDARD: Ich musste auch an Altman denken. Speziell wegen der Art und Weise, wie Sie mit Bild/Ton-Asynchronität arbeiten.

McKay: Mein Cutter Hank Corwin und ich haben den Film so geschnitten, dass sich das Publikum nie an einen Rhythmus gewöhnen kann. Darum haben wir in Dialogen oft mitten im Satz geschnitten oder mit Jump-Cuts gearbeitet.

STANDARD: Alle Ihre Filme – ob Drama oder Komödie – handeln im Grunde von ignoranten Menschen. Ist das als Ihr zentrales Thema?

McKay: (lacht) Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich weiß nicht, wie es in Europa aussieht, aber mein Eindruck von den USA derzeit ist, dass die Menschen über zu wenige Informationen verfügen, um sich ein eigenes Bild zu machen. Daraus erwächst Misstrauen – und eine Wut, die sich kaum noch kanalisieren lässt. Wenn du heute also eine "amerikanische Geschichte" erzählen willst, muss sie irgendwie in dieses Narrativ passen. Was eine Schande ist, denn ich glaube nicht, dass die Leute verblödet sind. Die Menschen wollen wissen, was vor sich geht.

STANDARD: Und deswegen muss eine halbnackte Margot Robbie den Zuschauern Begriffe aus der Finanzwelt erklären?

McKay: Das war mehr als Witz auf Kosten der Popkultur gemeint. Brauchen wir heutzutage Popstars, die uns die Welt erklären? Die zentrale Frage des Films lautet doch: Warum sahen gerade mal 20 Menschen die Bankenkrise voraus? Was sagt das über unsere Kultur, unsere Politiker, unsere Medien? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir verstehen, was damals vor sich ging. Und Tatsache ist: So kompliziert die ganze Angelegenheit auch klingen mag, es ist letztlich sehr einfach. Die Banken handelten mit Schuldscheinen und gaben ihnen verwirrende Bezeichnungen. (Andreas Busche, 14.1.2016)