Nackter Oberkörper, lange Kraushaare, die mit Koteletten und Bart zu einem großen, schwarzen Wuschelkopf zusammenwachsen, auf der Schulter ein Beil balancierend, Holzstiel nach vorne, Schneide nach hinten. Versteht sich von selbst, dass Häuptlingssohn Guna Bandiya Uruwarige, 45 Jahre alt und Stammesführer in zweiter Instanz, seit einigen Jahren eine lange Narbe neben dem linken Schulterblatt hat. Und er ist bei weitem nicht der Einzige. Die selbst geschlagenen Metalläxte werden bei den Vedda, dem indigenen Volk Sri Lankas, als Waffe getragen, um damit Hirsche, Lippenbären, Hasen und Warane zu jagen. Manchmal, da wandert der Jagdtrieb eben auch über den eigenen Rücken.

"Früher konnten wir von der Jagd leben. Außerdem haben wir noch Reis, Mais und Maniok angebaut", sagt Guna Bandiya, tiefroter Mund, zwischen den Zähnen ist eine halb durchgekaute Betelnuss zu erkennen. "Doch mittlerweile ist das uns zugewiesene Waldgebiet so klein, dass uns die wenigen Tiere darin kaum noch ernähren." Vor einigen Jahren hatte die Regierung das Jagdrevier der Vedda zum Schutz der wildlebenden Tiere auf 1.500 Hektar reduziert.

Foto: TUI/Florian Albert

In der Not erwiesen sich die Vedda, die die längste Zeit zurückgezogen im dichten Dschungel rund um Mahiyanganaya gelebt hatten, als erfinderisch und laden seitdem Touristen ein, um mit Eintrittsgebühren und Einnahmen aus Souvenirverkäufen Fleisch und Gemüse zuzukaufen. "Ja, wir waren gezwungen, unsere Autonomie aufzugeben", lässt der Häuptlingssohn über den Dolmetscher ausrichten. Die Freude steht ihm dabei nicht ins Gesicht geschrieben. "Jetzt tragen wir Kleidung, schicken unsere Kinder in die Schule, verkaufen selbstgemachten Schmuck und zeigen Touristen, wie man im Urwald Feuer machen kann."

Dem Wandel gelassen gegenüber stehen

Guna Bandiya hat in einer Lehmhütte Platz genommen. Normalerweise ist es sein 68-jähriger Vater, der Besucher empfängt. Doch anstatt hier Gespräche unter den Clans zu führen wie anno dazumal, präsentiert man sich nunmehr einer Horde Touristen, die für eine Stunde ins kleine Dörfchen Dambana gekommen ist, um Fotos zu machen, Notizen niederzuschreiben und kurz darauf wieder zu verschwinden. Guna Bandiya nimmt den Wandel mit Gelassenheit hin, stellt seine Familie vor, erzählt von Ritualen, vom Alltagsleben in der Natur.

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Die größte Gefahr sind Schlangen, das wichtigste Medikament in der Naturapotheke der Vedda daher matte, schwarze Steine, die in einem Plastikbehälter aufbewahrt werden: unter hohem Druck zusammengepresste Klumpen von Kräutern, 63 an der Zahl, nicht mehr und nicht weniger. Wenn jemand von einer Schlange attackiert wurde, wird die Bisswunde aufgeschnitten und ein Kräuterstein hineingedrückt. Dieser entzieht dem Gewebe angeblich das Schlangengift.

Im kleinen Dörfchen Dambana lebt nur eine Handvoll Familien. Insgesamt, schätzt Guna Bandiya, gebe es im Landesinneren von Sri Lanka noch an die 350 Großfamilien, also knapp 3.000 Menschen. Und bis auf den Dorfältesten, der viel auf Reisen ist, habe noch niemand von ihnen je das Meer gesehen. "Doch jetzt ändert sich unser Leben rapide. Manche sagen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis unsere Kultur stirbt. Das könnte schon passieren, denn immer öfter ziehen die Söhne und Töchter weg von hier und entscheiden sich für ein zivilisiertes Leben in der Stadt." Zum Beispiel in Kandy.

Sperrstunden für Straßen

Die letzte Königsstadt Sri Lankas hoch oben in den Bergen liegt nur 80 Kilometer von Dambana entfernt und wird über eine kurvenreiche Straße erreicht. Die Reise dorthin sollte zeitlich gut geplant werden. Zweimal am Tag wird nämlich die Straße gesperrt, um den hier lebenden Wildelefanten die Passage über den verkehrsbefreiten Asphalt zu ermöglichen. Auch außerhalb der beiden Sperrstunden lassen sich die Tiere immer wieder am Straßenrand blicken.

Obwohl Sri Lanka um fast ein Drittel kleiner ist als Österreich, ändert es im gefühlten Stundenrhythmus Gesichter und Lebenskulturen. Die Vedda scheinen längst vergessen, sobald man sich ins Getümmel der quirligen Bergmetropole geworfen hat. Der unberührte Wald ist hier längst einem Markt gewichen, der sich mehr oder weniger über die gesamte Innenstadt ausbreitet.

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Wichtigste Sehenswürdigkeit in Kandy ist der Sri Dalada Maligawa, der sogenannte Zahntempel am Ufer des Milchsees. Im prachtvollen, orientalisch anmutenden Bau aus dem 17. Jahrhundert wird eine hochverehrte Zahnreliquie Buddhas aufbewahrt, die nach dessen Tod aus der Asche geborgen worden sein soll. Zur Puja um 18 Uhr wird der Schrein mit dem vergoldeten Reliquienbehältnis geöffnet. In einem abendfüllenden Zeremoniell, das von ohrenbetäubendem Flöten- und Trommelspiel begleitet wird, haben Gläubige die Möglichkeit, Obst, Blumen und Alltagsutensilien für die Mönche zu spenden.

Der Zahn im Zentrum

"Sri Lanka hat so viele, viele Gesichter", sagt Lamahewa Diyadahara Mahawatta. "Wir haben nicht nur Küste und Meer, wir haben auch Dschungel, wir haben Ureinwohner, wir haben Naturschutzgebiete, wir haben Elefanten, wir haben koloniale Geschichte, wir haben Ayurveda, und wir haben eine gesunde Lebenskultur im Einklang mit der Natur. Aber das Zentrum von alledem ist und bleibt der Zahntempel in Kandy. Das ist unser Mekka." Der 52-Jährige ist nicht nur als Guide tätig, sondern ganz offenbar auch als impliziter Missionar. Als singhalesischer Buddhist, meint er, müsse man dem Zahntempel mindestens einmal im Leben einen Besuch abgestattet haben. Und als Sri-Lanka-Besucher sowieso.

Nach vollbrachter Tat, bei der man dem Buddhismus auf den Zahn gefühlt hat, bietet sich ein Cocktail im altehrwürdigen Queen’s Hotel an – wieder so ein Kultur-Clash. Der britische Kolonialbau aus dem Jahr 1844, in dem schon Hermann Hesse nächtigte, wartet mit einer urigen Bar auf, die einen direkt in die Jahrhundertwende um 1900 zurückkatapultiert – so muss Gin Tonic schmecken.

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"Ayubowan, ayubowan! In unserem Land heißen wir alle und alles willkommen", sagt Lamahewa. "Daher und nur daher ist unser Land so reich." Auch reich an Regen. Aufgrund der geografischen Lage im Indischen Ozean und der hohen Gebirge im Landesinneren, die für die Wolkenmassen eine Barriere darstellen, kann man sicher sein, dass es in Sri Lanka immer irgendwo gießt. "Wenn wir den Regen nicht wollen, dann fahren wir einfach von einer Küste an die andere. Denn wenn es im Osten regnet, dann scheint im Westen die Sonne. Und wenn es im Westen regnet, dann kann man sicher sein, dass es an der Ostküste schön ist."

Sri Lankas sinnlichste Seite

Dank der hohen Niederschläge hat sich Ceylon, wie die Republik bis 1972 hieß, zum viertgrößten Teeproduzenten der Welt entwickelt. Ein großer Teil der 330.000 Tonnen Tee, die hier pro Jahr erzeugt werden, stammt aus dem Hochland rund um Kandy. Das Klima und Lagen von bis zu 1.200 Metern über dem Meeresspiegel machen die Region ideal für den Anbau. In Teefabriken wie jener von Embilmeegama, nur wenige Kilometer von Kandy entfernt, wird man olfaktorisch fast um den Verstand gebracht, denn die ätherischen Öle, die beim Fermentieren und Rösten der Teeblätter in die Luft aufsteigen, sind überaus betörend. In gewisser Weise zeigt sich Sri Lanka hier von seiner sinnlichsten Seite.

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Im Shop nebenan kann man den Tee in verschiedenen Qualitätsstufen erwerben. Die kleinen Säckchen kommen einem bekannt vor. Hat nicht kürzlich auch Häuptlingssohn Guna Bandiya Uruwarige so ein Päckchen in der Hand gehabt und verkaufen wollen? Die Töchter und Söhne aus Dambana sind weit gereist – oft kommen sie auch ins Hochland um Kandy. Das Leben im Herzen Sri Lankas verändert sich zusehends. "Panta rhei", sagt Guide Lamahewa. Alles fließt. Ja, so kann man das auch sehen. (Wojciech Czaja, 15.1.2016)