Die katholische Kirche geht mit dem Islam vorsichtiger um als viele sogenannte christliche Politiker. Beim Konflikt um die Mohammed-Karikaturen teilten etliche prominente Geistliche die Meinung islamischer "Kollegen", dass es sich um Verunglimpfungen Mohammeds handle – und derartige Darstellungen daher zu unterlassen seien.

Die meisten westlichen Publizisten beriefen sich auf Meinungsfreiheit, vor allem, als die Auseinandersetzung im Pariser Terror gegen Charlie Hebdo vor einem Jahr gipfelte. Durch die Tötungsgewalt sei die westliche Gesellschaft insgesamt angegriffen worden. Unter den Spitzenpolitikern, die zur großen Demonstration nach Paris gekommen waren, marschierten jedoch viele, die zu Hause Presse- und Kunstfreiheit nicht achten.

Hinter einer Fassade, auf der leuchtend die aus den christlichen und aufklärerischen Traditionen stammenden Werte proklamiert werden, verbreiten sich Massenkonsum, Umweltvergiftung, organisiertes Verbrechen und Demokratieabbau.

Was den Westen für die Flüchtlinge attraktiv macht, sind Arbeitsmöglichkeiten, Sozialleistungen und die Abwesenheit von Krieg. Wer zu Hause (zum Beispiel in Afghanistan) nichts hat, für den ist ein Job als Hilfsarbeiter bereits eine Karriere.

All das gilt für die große Mehrheit der Flüchtlinge. Kleine Minderheiten, die sich nicht anpassen (wollen) oder einfach Pech haben, werden kriminell – wie bei Europäern. Der Unterschied ist, dass die Kriminalität unter Ausländern vom rechten Populismus und von "Islamexperten" hochgespielt und in den Massenmedien mit attraktiven Bildern (wie "Mohammed war ein Hitler") zum Quotenhit wird.

Abgesehen von der Missbrauchspraxis: Da die katholische Kirche sich mittlerweile unter dem Eindruck der Aufklärung vom Fundamentalismus vergangener Jahrhunderte gelöst hat und ihre Machtansprüche aufgeben musste, kann man Sexualdelikte in westlichen Staaten nicht mehr als Resultat der christlichen Moralgesetze deuten.

Bei der Betrachtung des Islam kann man das, weil der Umgang mit Weiblichkeit und Sexualität Jahrhunderte nachhinkt. Das führt zu Übergriff und Kollision – nicht nur zu Silvester.

Die Modernisierungsverlierer unter den Jugendlichen werden vom "Islamischen Staat" (IS) angesprochen und finden dort ihre (Kriegs-)Idole, die ihnen der Westen nicht mehr bieten kann und will.

Der IS trifft die liberalen Demokratien an ihren schwachen Stellen. Seine Strategen wissen, dass keine westliche Armee groß genug ist, um in den Weiten Syriens und des Irak flächendeckend erfolgreich zu sein. Sie wissen außerdem, dass man Europa mit den Flüchtlingsmassen destabilisieren kann. Sie wissen, dass die Religiosität im Westen zwar wieder zunimmt, aber keinen Zusammenhalt auf Pech und Schwefel schafft.

Nicht den Kampf zwischen den Religionen und Kulturen sollten wir forcieren, sondern die Werte der Aufklärung.

Sie verliert an Boden.

Sie zu stärken braucht hohe Investitionen in Bildung und Ausbildung der Zuwanderer. Schaffen wir das? (GERFRIED SPERL, 10.1.2016)