Bild nicht mehr verfügbar.

Polizei ausgetrickst: Gewerkschafter kamen als Touristen vor den Amtssitz des Premiers.

Foto: Reuters/ Alkis Konstantinidis

Der Gehsteig vor dem Amtssitz von Alexis Tsipras hat normalerweise seine eigene Choreografie: Auf der Straßenseite zum Botanischen Garten stehen die Übertragungswagen der Fernsehsender und die griechische Presse, Kaffeebecher in der Hand. Auf der Seite der Villa Maximou, dem Regierungssitz, lockern sich die Fahrer und Sicherheitsleute des linken Premierministers und dessen Kabinett unter den gestutzten Mandarinenbäumen aus, allesamt junge Männer mit Dreitagebart und selbstverständlich ohne Krawatte.

Doch an diesem Tag haben andere den Platz des Personals genommen. Dicht an dicht stehen die Gewerkschafter, eine Hundertschaft nimmt jeden Zentimeter des Gehsteigs und versperrt für Stunden den Eingang zum Amtssitz des Premiers in Athen. Als Touristen gaben sie sich aus, kamen am Freitagmorgen in Bussen und überlisteten die Polizei. "Das neue Verbrechen – Kein Kompromiss", steht auf den Bannern, die sie hochhalten. Die kommunistische Gewerkschaft Pame kämpft gegen die Pensionsreform, die Alexis Tsipras diese Woche in der Villa Maximou von seinem Kabinett billigen ließ.

Es ist ein clever ausgearbeiteter, bemerkenswerter Entwurf, sagt Platon Tinios, ein Ökonom und Spezialist für die Welt der griechischen Sozialversicherung, ironisch, aber anerkennend. "Die Troika wird einiges davon mögen. Es ist das erste Mal, dass in Europa eine solche Reform vorgelegt wird, die nicht alle Lasten einfach auf die jüngere Generation ablädt", erklärt Tinios, der an der Universität von Piräus lehrt. "Es könnte ein Präzedenzfall werden, etwas, das auch in Frankreich oder in Österreich angewandt wird."

System vereinheitlicht

Um mindestens 15 Prozent will die linksgeführte griechische Regierung die Pensionen jener kürzen, die dieses Jahr oder in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen. Erstmals sollen in Griechenland ein einheitliches Berechnungssystem für Altersbezüge eingeführt und alle Pensionskassen fusioniert werden. Die derzeit gezahlten Altersbezüge werden neu berechnet und die Kürzungen nur drei Jahre lang, für die Zeit des laufenden Kreditprogramms, vom Staat durch Zahlungen ausgeglichen. Somit kann Arbeits- und Sozialminister Giorgos Katrougalos weiterhin behaupten, die einstige Anti-Sparkurs-Partei Syriza kürze keine bestehenden Pensionen.

170 Seiten lang ist Katrougalos' Entwurf für ein vereinheitlichtes Sozialversicherungssystem. Auch die "300-Euro-Pension", die seine Partei immer als Schreckgespenst hochgehalten hatte, gleichsam als Symbol unmoralischer Forderungen der Gläubiger, taucht in dem Reformkatalog auf: 384 Euro sind es jetzt; so viel soll die nationale Mindestpension für jene in Griechenland betragen, die nie sozialversichert waren.

Nochmalige Beitragserhöhung

Die Koalitionsregierung des linksgerichteten Kleinparteienbündnisses Syriza und der kleinen rechtspopulistischen Anel (Unabhängige Griechen) sandte am Montag ihr Konzept der Pensionsreform an die Kreditgeber. Eine Antwort stand am Freitag noch aus. "Unvernünftige oder unfaire Forderungen" werde er nicht akzeptieren, sagte Tsipras gleich im Voraus.

Um Einsparungen bei den Sozialversicherungen in Höhe von einem Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes zu erreichen, will die Regierung auch die Beiträge nochmals erhöhen: Die Arbeitgeber sollen beim Gehalt vier Prozent für Pensionen zahlen, einen Prozentpunkt mehr; die Arbeitnehmer einen halben Punkt mehr, 3,5 Prozent. Den Geldgebern, die Athen einen dritten Rettungskredit gewährt hatten, könnte dies zu unternehmerfeindlich sein. Allerdings billigten die vier großen Arbeitgeberverbände in Griechenland am Donnerstag bei einer Runde mit Tsipras die Anhebung der Pensionsbeiträge.

Scheitert die Pensionsreform am Einspruch von Eurogruppe, EZB und Euro-Rettungsfonds, käme es wie im Sommer 2015 zum Konflikt mit den Geldgebern. Wird die Reform aber tatsächlich konsequent umgesetzt, könnte das tief defizitäre Sozialversicherungssystem in etwa fünf Jahren den Spareffekt spüren, glaubt Platon Tinios. (Markus Bernath aus Athen, 8.1.2016)