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Die Dimensionen, die ein Schneebrett erreichen kann, werden bei der Anrisshöhe deutlich: Ein Meter und mehr sind keine Seltenheit. Ist der Hang einmal in Bewegung, donnern zig Tonnen Schnee ins Tal.

Foto: picturedesk / Science Photo Library / Jürg Alean

Es hat ein paar Tage geschneit. Keine Unmengen, einen halben Meter vielleicht. Und es war stürmisch in der Höhe. Dann endlich der erste Sonnentag. Ein Traumwochenende wartet. Die Herzen der Skitourengeher schlagen höher, die unberührte Winterwunderwelt lockt ins Gebirge.

Eine Gruppe Skibergsteiger quert einen tief verschneiten Pulverhang – ein Traum zum Skifahren. Um den steilen Osthang nicht mit dem Gewicht der gesamten Tourengruppe zu belasten, werden schon beim Anstieg große Abstände eingehalten. Dann trotzdem: Ein lautes Knacken, und der Hang zerbirst in Sekundenbruchteilen in unzählige Schollen – wie wenn man einen Stein in eine Glasscheibe wirft. Die Schneemassen nehmen einen Tourengeher mit. Vor den Augen seiner Freunde wird er in die Tiefe gerissen und verschluckt.

Es gibt kaum Schilderungen, was sich dann im Inneren des Schneebretts weiter abspielt. Eine halbwegs präzise Darstellung verdanken wir der im Frühjahr 2015 verstorbenen oberösterreichischen Bergsteigerlegende Edi Koblmüller. Er hat seinen Lawinenunfall 2005 in einem Beitrag für das Magazin "Land der Berge" festgehalten: "Das Schneebrett bricht lautlos, der ganze Hang gleitet, mit der offenen Bindung keine Chance zur Gegenwehr. Ich greife zum Auslösegriff des ABS-Rucksacks, sehe das Orange der Airbags, spüre starken Zug an den Beinen. Neue Schneemassen von oben – ich werde verschüttet. Stille, bewegungsunfähig festgepresst, keine Atemhöhle, stöhnendes Ausatmen. Keine Angst, ich sollte versuchen, den Arm zu strecken, sie werden gleich da sein. Dann nichts mehr ..."

Koblmüller überlebte trotz einer Verschüttungstiefe von fast einem Dreiviertelmeter unverletzt. "Ohne das professionelle Können meiner Retter wäre die Geschichte nicht gut ausgegangen", schrieb er. Ohne Verschüttetensuchgerät hätte er auch keine Chance gehabt. Und ohne Lawinenairbag wäre er noch tiefer unter den betonharten Schneemassen begraben worden – ohne Chance, ihn rechtzeitig freizuschaufeln.

Auch so benötigten seine Tourenpartner etwa zwölf Minuten, bis sein Kopf freigelegt war und Koblmüller wieder Luft zum Atmen bekam. Er erwachte aus tiefer Bewusstlosigkeit. Es war knapp: Wer länger als 15 Minuten verschüttet ist, hat fürs Weiterleben absolut schlechte Karten.

Ausrüstung und Ausbildung

In Österreich sterben im langjährigen Schnitt pro Saison 26 Menschen den Weißen Tod. Die Mehrheit sind Skitourengeher, in der Opferstatistik finden sich aber auch viele Variantenfahrer. In den anderen Alpenländern sind die Zahlen ähnlich. Zum Vergleich: Insgesamt verlieren bei Alpinunfällen im Schnitt österreichweit jährlich 87 Menschen ihr Leben.

Die Tendenz bei den tödlichen Lawinenunfällen ist, über die Jahre gesehen, gleichbleibend. Und das, obwohl sich die Zahl der Aktiven vervielfacht hat. Schätzungen gehen von bis zu 650.000 aktiven Skitourengehern in Österreich aus.

Dass die Zahl der Lawinentoten nicht ansteigt, hat verschiedenste Gründe: Viele Tourengeher beschränken sich auf (Pisten-)Touren im gesicherten Skiraum. Dazu kommt die verbesserte Ausrüstung: Verschüttetensuchgerät, Schaufel, Sonde, Lawinenairbag gehören zur Standardausrüstung. Die alpinen Vereine bieten hochwertige Ausbildungen an.

Ein wesentlicher Faktor sind die Lawinenlageberichte. Die von den Lawinenwarndiensten der Länder erstellten Berichte haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv an Aussagekraft zugelegt. Allein in Salzburg sind zusätzlich zu den Profis der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und den zahllosen automatisierten Messstationen bis zu 300 Leute in die Erstellung des Lageberichts eingebunden.

Dazu gehören stationäre Frühbeobachter – etwa Hüttenwirte – ebenso wie die Mitglieder der 70 Lawinenkommissionen. Die ehrenamtlich arbeitenden Kommissionen sind auch für Sperren von Pisten oder Straßen zuständig. Ebenfalls ehrenamtliche Nachmittagsbeobachter – oft Bergführer – liefern zusätzliche Informationen. Am Ende stehen dann ein detaillierter Lagebericht und nach Regionen eingeteilte Gefahrenstufen von 1 (gering) bis 5 (sehr groß).

Dass die Lawinenkunde so massive Fortschritte gemacht hat, hängt vor allem mit einem Namen zusammen: Werner Munter. Der inzwischen pensionierte Mitarbeiter des Schweizer Lawinenforschungsinstituts revolutionierte in den 1990er-Jahren die Lawinenkunde, indem er neue Denkmuster propagierte. Munter ging beispielsweise von "zwei instabilen Systemen aus": der Schneedecke und dem Menschen.

Herausgekommen sind stark vereinfachte Formeln, die auch Nichtexperten ermöglichen sollen, das Risiko auf einer Skitour in einen akzeptablen Bereich zu senken. So stellt Lawinenpapst Munter – formelhaft vereinfacht – eine Relation zwischen Lawinengefahrenstufe und Hangneigung her. Kurz gesagt: Je größer die Gefahrenstufe, umso flacher muss der Hang sein, den man befährt.

Schneearme Winter

Das sei so nicht haltbar, sagt Georg Kronthaler, Ausbildungsleiter der bayerischen Lawinenwarnzentrale. Kronthaler propagiert ein Diagnosesystem, mittels dessen man dem Schnee nicht nur formelhaft, sondern auch körperlich zu Leibe rückt. Es geht darum, den Schnee – im doppelten Sinn des Wortes – zu begreifen.

Dazu wird mit der Lawinenschaufel ein kleiner, etwa ein Meter tiefer Block ausgestochen. Bricht dieser beispielsweise bei nur leichtem Anklopfen mit dem Schaufelblatt mit einer glatten Kante auseinander, hat man eine empfindliche Schwachschicht – beispielsweise eine durch Regen entstandene Eislamelle – entdeckt. Dieser Hang ist tabu.

Eine Warnung haben die Experten wie Kronthaler oder der Leiter des Salzburger Lawinenwarndienstes, Bernd Niedermoser, aus aktuellem Anlass noch parat: Schneearme Winter seien besonders gefährlich. Die Temperaturkurve in der dünneren Schneedecke von null Grad auf dem Boden zu den tieferen Lufttemperaturen ist steiler, das begünstigt die Umwandlung der Schneedecke.

Zudem zeigt die langjährige Erfahrung, dass in schneearmen Wintern die Tourengeher risikofreudiger werden, um ihre Spur in einen Hang legen zu können. (Thomas Neuhold, 10.1.2016)