Gut möglich, dass Sie mich jetzt gleich nicht besonders lieb haben. Weil: Das, was ich Ihnen jetzt ans Herz lege, geht, zumindest legal, seit dem Dreikönigstag nicht mehr. Der Lainzer Tiergarten hat nämlich jetzt wieder geschlossen (mit Ausnahme des Hermesvilllaparks). Und auch wenn es in der Gegend des (ohnehin immer geschlossenen) Adolfstors ein paar Wiesen gibt, von denen aus man einen ähnlich gigantischen Blick auf die Stadt hat, …

Foto: Thomas Rottenberg

… ist das halt doch nicht das Gleiche, wie wenn man an den Weihnachtsöffnungstagen um Punkt acht beim Nikolaitor steht und sich zum Aufwärmen gleich einmal die steile Ostroute bergauf gönnt. Wenn sich da die Sonne durch Nebel und Bäume nagt und außer einem selbst weder Wildsauen noch Menschen zu sehen sind, ist rasch klar: Aufstehen und Frieren haben sich gelohnt. Dabei ist das erst das Präludium.

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Denn kaum ist man nur einen Meter über dem Nebel, wachsen die Hügel des Wienerwalds wie eine Küste aus dem "Meer". Jetzt heißt es schnell sein: Die Sonne klettert rasch – und zu dem Blick, für den sich das alles auszahlt, ist es noch ein gutes Stück. Bergauf.

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Der "Wiener Blick". Einer meiner absoluten Lieblingspunkte. Noch schöner in der Früh. Aber hier und heute unschlagbar: Da unten ist die Stadt daheim. Das weiß ich – aber die Stadt schläft noch. Dick in Watte gepackt – und im kollektiven Weihnachtsfestschmaus-Verdauungsschlaf.

Foto: Thomas Rottenberg

An dieser Stelle bitte ich, die mediokre Fotoqualität zu entschuldigen: iPhone 5 und Gopro Session sind Schnappschusswaffen. Um diese Szenerie "würdig" einzufangen, bräuchte man anderes Gerät. Aber mit ein bisserl gutem Willen erkennt man dennoch, wie die Otto-Wagner-Kirche am "Ufer" über die versunkene Stadt wacht – und am Horizont nur ein DC-Tower-Punkt verrät, dass sich hier Wien versteckt.

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Den Lauf zum Wiener Blick habe ich mir kurz nach Weihnachten gegönnt. Bevor der Winter wirklich kam. Aber: Frisch war es trotzdem. Oben weniger als unten im Nebel – und durch den musste ich durch. Auf dem Rückweg in die Stadt. Schließlich hatte ich Martin Tschiedel ein Versprechen gegeben.

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Nämlich das, an diesem Tag ein bisserl bei seinem "Keksgewissenlauf" mitzulaufen. Blöderweise liefen Tschiedel und seine Ultralauf-Kumpel nicht in Lainz, sondern im Prater. Und zwar einen lockeren 50er. Oder so was Ähnliches: Wenn Ultraläufer über ihr Basistraining plaudern, fangen Normalos an zu weinen. Oder verzweifeln.

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Andererseits: Wer Ultras laufen will, muss vorher unpackbar viele Kilometer "fressen". Weil das alleine nur halb so nett wie im Rudel ist, hatte Tschiedel via Facebook eingeladen: Er werde die Hauptallee vier oder fünf Stunden lang gemütlich rauf und runter traben. Mit Labungskofferraum beim Stadion. Er freue sich über Gesellschaft.

Ganz besonders, wenn die sein Motto nicht nur abnickt, sondern auch spendet: "Wir sollten nicht immer fragen: Was leistet der Mensch sportlich, sondern was leistet der Sport menschlich" kann ich unterschreiben und die Konklusio weiterempfehlen: martin24h.awardspace.biz.

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Aber ich verzettle mich. Eigentlich sollte es einfach ums Laufen im Winter gehen. Bei Kälte, Eis und Schnee. Also: Auch wenn der Schnee erst mit den heiligen drei Königen kam, war es vorher schon kalt. Kalt genug, dass immer wieder die eine Frage kam: ob man da "bei so einem Wetter" überhaupt laufen könne. Dürfe. Solle. Und, wenn ja: wie.

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Dauer-Läufern wie mir und anderen Süchtigen mag das seltsam erscheinen. Aber: Arroganz und Überheblichkeit steht bei ernst gemeinten Fragen niemandem zu. Und weil mein "Ja, und es macht sogar einen Mörderspaß" alles andere als eine medizinisch kompetente Antwort wäre, habe ich darüber mit dem Sportmediziner Robert Fritz von der Wiener Sportordination ein längeres Gespräch geführt. Das erscheint am Samstag im STANDARD– und ist ein paar Tage später dann hier nachzulesen.

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Ich bleibe lieber bei den den einfachen Weisheiten: Ja, im Winter kann man laufen. Aber es gilt, ein paar Dinge zu beachten. Regel eins: erst planen, dann rennen. Das ist zwar ein No-na-Satz, aber im Sommer ist es halt relativ wurscht, ob man sich im Gelände verkoffert und zwei Stunden verschwitzt herumirrt. Im Winter kann das im allerblödesten Fall lebensgefährlich sein. Und zwar auch dann, wenn man eigentlich nur vom Karl-Marx-Hof, also Heiligenstadt, über den Kahlenberg nach Hütteldorf will. "U4–U4" heißt diese Route – ein Wiener Standard. Das Vertrackte an Standards: Man kennt sie – und improvisiert. Aber dazu später.

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Regel eins bedingt für mich: im Winter nie ohne Rucksack ins Gelände. In dem sind a) ein Handy (aus oder im Flugmodus, damit der Akku verlässlich Power hat), b) eine Trillerpfeife, c) eine Notfallplane und d) ein warmes Thermo- oder Skiunterleiberl in einem dünnen, aber dichten Nylonsackerl – ein Shirt, das feucht wird, gefriert im Rucksack, und dann ist es nur noch Ballast. Außerdem, zumindest auf Läufen, wo man nicht jederzeit einen Ausstieg hat: Traubenzucker, Müsliriegel und etwas zu trinken. Im Idealfall etwas Warmes.

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Das Blöde: Trinkflaschen am Gürtel oder in den Brustgurttaschen des Rucksacks frieren irgendwann ein. Besser und komfortabler zu tragen: Trinkblasen. Der Vorteil: Anfangs wärmt der Tee im Sack den Rücken, später verhindert die Körperwärme das Einfrieren. Der Pferdefuß: Eis, das Mundstück oder Schlauch blockiert. Die Lösung: den Schlauch, statt ihn an der "korrekten" Position zu fixieren, zwischen Rücken und Rucksack schieben.

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Handschuhe, Haube und Halstuch sind im Winter Pflicht. Sie verhindern das Entstehen von "Kältebrücken" und lassen sich, wenn einem nach ein paar Minuten doch warm wird, immer irgendwo verstauen. Bei Pausen, nach dem Lauf oder bei einem Unfall leisten sie dann aber sofort wieder unverzichtbare Dienste. Bei kurzen Läufen in der Zivilisation ebenso wie bei langen Läufen durch die Pampa oder über die Hügel.

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Der Oberkörper. Grundsätzlich gilt: immer Zwiebel, nie Kartoffel. Also mehrere dünne Schichten statt einer fetten. Klingt unendlich banal, ist es aber nicht. Auch, weil jeder und jede anders funktioniert.

Ich persönlich trage lieber zwei dünne Kurzarm-Funktionsshirts übereinander und halte die Arme mit Ärmlingen warm – auch unter der wind- oder auch wasserabweisenden äußersten Schicht. Beim Kahlenberg-Lauf landete das dickere Shirt nach 20 Minuten im Rucksack, die Ärmlinge blieben. Die Jacke sowieso. Die individuell passenden Varianten muss man selbst austüfteln – tunlichst in "harmloser" Umgebung.

Foto: Thomas Rottenberg

Hosen: Auch hier gibt es keine universell gültige Antwort. Wo andere schon mit langen oder sogar gefütterten Hosen laufen, bin ich immer noch mit kurzen oder knapp überknielangen Hosen happy. Bei minus fünf Grad im Wald trage aber auch ich Hosen mit Windstopperfunktion.

Statt zu gefütterten Beinkleidern greife ich zu Skisocken und dünner Übershort. Skiunterwäsche trage ich unter Laufhosen nie, für richtig kalte Tage liegt eine fett gefütterte Hose im Kasten. Oder ich ziehe eine Jogginghose drüber (und frage mich dann, wieso Sofa- und Knotz-Kleidung so heißt).

Foto: Thomas Rottenberg

Schuhe? Kommt darauf an. Wenn ich nicht sicher bin, was mich erwartet, nehme ich lieber den schwereren Schuh mit der gröberen Sohle. Das ist fast nie die falsche Wahl: Hier, beim Lauf durch den Wienerwald, lag noch fast kein Schnee.

Ich wusste, dass es eventuell glatt und rutschig, aber kaum feucht werden würde. Es wäre auch mit einem normalen Straßenschuh gegangen – aber auf den raureifig-rutschigen Wiesen und im "freien" Waldgebiet abseits der Route war ich über den Trailschuh (ohne schwere Goretex-Membran) dann doch froh.

Foto: Thomas Rottenberg

Zwei Tage darauf hatte es dann wirklich geschneit. Und auch wenn locker-pulvriger Schnee wunderschön ist, sammelt man abseits der Trampelpfade zwangsläufig Schnee. Der beginnt am Schuh aufgrund der Körperwärme zu schmelzen. Bei "leichten" Schuhen ist es da oft eine Frage von Minuten, bis die Füße nass sind.

Und was einmal nass abkühlt, wird kaum wieder warm. Darum im Zweifel oder wenn man es wie beim Lauftechnik-Workout rund um den Theseustempel eher gemütlich als knackig angehen will: Goretex. Oder etwas Ähnliches.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich: Man kann im Winter auch ganz hervorragend mit leichten, fast profillosen Straßen- oder Wettkampfschuhen unterwegs sein. Wenn man sich darin sicher fühlt. Und Nässe von oben kein Thema ist. Etwa wenn Tempoarbeit oder Intervalle auf dem Plan stehen.

Allerdings sollte man dann – wie in jedem Schneelauf-Fall – Pace und Puls mit Vorbehalt betrachten. Als ich am Dreikönigstag um die Hauptallee Tempoläufe abspulte, traf ich einen Kollegen, der das gerade ausgetestet hatte: "Wenn du auf Schnee eine 4'50"er-Pace läufst, sind das etwa 4'30" am Asphalt." Geht rein wie Sau, macht Spaß – und hat noch einen Benefit: Durch den rutschigeren Boden tritt man aufmerksamer auf. Und läuft dadurch meist mit höherer Schrittfrequenz. Das ist (fast) nie falsch.

Foto: Thomas Rottenberg

Zurück in den Wienerwald vor dem Schnee: Es war "nur" saukalt und windig. Ab und zu flankerlte ein bisserl Schnee. Keine Leute. Ich liebte es. Und beschloss zu variieren. Querwaldein. Rauf. Runter. Ein wunderschönes Solo – bis ich mit dem rechten Bein im vollen Lauf in ein vom Laub zugedecktes Erdloch krachte. Also richtig und voll ins Leere stieg: Es war, als hätte mir jemand das Bein beim Knie abgerissen. Ein paar Minuten kam ich gar nicht auf die Füße. Dann konnte ich eine Viertelstunde nicht richtig auftreten. Blöd gelaufen.

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Auch wenn es "nur" der Wienerwald ist: Bei unwirtlichem Wetter, nassgeschwitzt und abseits aller Wander- und Mountainbike-Strecken ist am Boden liegen und vor Schmerzen Sterne tanzen sehen nicht wirklich leiwand. Aber gerade weil mich manche Leute spöttisch-mitleidig anschauen, wenn ich meine Rucksack-Basisausrüstung runterdekliniere: Ich war heilfroh über Zusatzshirt, Tee, Müsliriegel und Trostschoko. Und auch wenn ich dann über den Schmerz drüberlief und irgendwie noch zehn Kilometer anhängte, bevor ich nach 22 Kilometern und 800 Höhenmetern (statt geplanten 30) doch zur Straßenbahn abbog, war ich froh, das Klumpert dabeigehabt zu haben: Better safe than sorry.

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Egal. Denn langer Schreibe kurzer Sinn: Der Winter ist mitnichten des Läufers Feind. Man muss nur wissen, worauf man sich einlässt – und welche Spaßkiller man mit ein paar kleinen Tricks ausbremsen kann. Dann … aber was schwafle ich: Probieren Sie es einfach aus. Sie werden es lieben. Da bin ich mir ziemlich sicher. (Thomas Rottenberg, 8.1.2016)

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