Menschen erheben sich gegen das Regime: "Flammende Reden, brennende Plätze" am Landestheater Niederösterreich.

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Regisseurin Ana Zirner inszeniert in St. Pölten

Foto: Andrea Kiesendahl

STANDARD: Sie haben Islam- und Politikwissenschaften studiert und sich erst dann für das Theater entschieden? War es die ideale Anwendungsform für Ihr Wissen?

Zirner: So würde ich es heute sehen, aber damals wollte ich einfach Journalistin werden. Ich wollte im Ausland recherchieren, von dort berichten, um dazu beizutragen, dass man bei uns die jeweiligen Kontexte besser versteht, ein ganz idealistisches Ziel. Da mir durch meine Familie Film und Theater als Ausdrucksmittel immer vertraut waren, hat es mich in diese Richtung getrieben. Theater ist ein spannendes Medium, um mit der Dramatik des Tagesgeschehens umzugehen. Man ist zwar der "Wahrheit" verpflichtet, aber nicht einer konkreten Realität. Journalistische Reportagen sind enorm wichtig, aber man bleibt beschränkt. Mit dem Theater kann ich die Themen persönlich behandeln und näher heranholen.

STANDARD: Sie haben auch im Iran recherchiert; seither gilt für Sie ein lebenslanges Einreiseverbot. Wie kam es dazu?

Zirner: Ich weiß es nicht genau. Bei meinem zweiten Visumsantrag wurde ich am Konsulat in München in ein Hinterzimmer gebeten. Dort hat man mir unter einem Khomeini-Bild kryptisch mitgeteilt, dass meine Theaterrecherchen nicht erwünscht seien. Dabei bin ich keine berühmte Regisseurin. Es besteht offenbar große Angst vor freier Kulturarbeit, und das wiederum empfinde ich als Bestätigung. Ich werde mich bestimmt wieder um eine Einreisegenehmigung bemühen, das "lebenslang" muss ja nicht immer so bleiben.

STANDARD: Was war der Ausgangspunkt von "Flammende Reden, brennende Plätze"?

Zirner: Es fing an mit einem Artikel der Journalistin Carolin Emcke über das "globale Wir". Diesem Begriff sind wir nachgegangen. Welche Menschen sind es, die Widerstandsbewegungen vorantreiben, was sind die Gemeinsamkeiten? Zweitens hat mich der Aspekt der Masse interessiert. Der Begriff ist bei uns ja negativ konnotiert, man denkt sofort an Mitläufer. Zugleich aber hat die Bewegung einer Masse etwas Magisches, sogar in einem Fußballstadion.

STANDARD: Wie haben Sie die aufbegehrenden Menschen gefunden und die "repräsentativen" ausgewählt? Gab es Kriterien?

Zirner: Wir wollten einen Fokus auf den europäischen Kontext, weil uns diese Schauplätze näher sind, zugleich haben wir eine Außenperspektive einbezogen. Es sind nun die Länder Spanien, Ukraine, Türkei und Syrien. Wir haben zwar auch über Organisationen nach diesen Menschen gesucht, aber sie fallen einem meistens zu. Solche Zufälle sind besonders, zumal sich die Geschichten der Schauspieler mit denen der Protagonisten verbunden haben.

STANDARD: Warum war es wichtig, dass die Schauspieler die dem Stück zugrunde liegenden Interviews selbst führen?

Zirner: Damit wollten wir den Schauspieler als Souverän nicht nur im Künstlerischen, sondern als Souverän mit seiner Persönlichkeit hervorheben. Das ist ein Gewinn.

STANDARD: Kein Stimmengewirr, sondern vier Schauspieler repräsentieren vier Protagonisten?

Zirner: Ja. Die Wirkung ist stärker, wenn man behaupten kann, dieser Text kommt von einem konkreten Menschen. Etwa 95 Prozent des Abends sind Originalzitate. In der Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit dieser Alltagssprache liegt enorme Kraft.

STANDARD: Gab es Schwierigkeiten, diese vier Schauplätze nebeneinanderzustellen?

Zirner: Es gibt Aspekte, die allen gemeinsam sind. Wie bringt man einen Stein ins Rollen, welche Risiken geht man ein? Es geht auch viel um Euphorie und das positive Gefühl: Was können wir alles schaffen? Wichtig war auch: Was löst das Gefühl der Unterdrückung in uns aus? Was macht es mit einem, wenn einem etwas verboten wird, das man als sein Grundrecht empfindet. Das ist ein globales Gefühl, das wir auch hier nachvollziehen können.

STANDARD: Rimini Protokoll haben mit den "Experten des Alltags" (Laien auf der Bühne) das Dokumentartheater neu belebt. Warum sind es bei Ihnen entschieden Schauspieler?

Zirner: Es braucht eine Form. Ich mag Rimini Protokoll sehr, aber man muss bei diesem Zugang enorm viel investieren, damit "Experten des Alltags" nicht peinlich und somit auch indiskret werden.

STANDARD: Kann dokumentarisches Theater schneller auf die Gegenwart reagieren als Stücke?

Zirner: Ich würde sehr gern mit einem literarischen Text arbeiten, der gegenwärtige politische Konflikte aufarbeitet. Aber diese Theaterstücke fehlen weitgehend. Eigentlich schreiben wir uns diese selber, wir bauen die Dramaturgie. In anderen Ländern werden deutlich mehr Stücke mit explizit politischen Konfliktstoffen geschrieben. In Mexiko oder im Iran, da gibt es in der zeitgenössischen Dramatik eigentlich kaum andere Themen.(Margarete Affenzeller, 7.1.2016)