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"Parallelaktionen" sind zu erwarten.

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Das riecht schwer nach Parallelaktion, einer weiteren Missetat des scheinbar ewig seine Fäden spinnenden Netzwerks des Predigers Fethullah Gülen im türkischen Staat – paralel yapı und Fetö (Fetullahçı terör örgütü) heißen die Stichwörter im Erdoğan-Neusprech, also "Parallelstruktur" und "Terrororganisation der Fethullah-Anhänger", die bis etwa 2012 noch dicke Glaubens- und Politikfreunde des Erdoğan-Teils der Regierungspartei AKP waren. Doch was wir hier sehen, ist eher der gelungene Coup einer türkischen Bürgerrechtsgruppe oder vielmehr der türkischen Filiale von Transparency International, des Şeffaflık derneği.

Der Verein für Transparenz hat eine neue Kampagne zur Offenlegung der Vermögensverhältnisse türkischer Mandatare gestartet und sich dabei die Unterstützung der EU und des türkischen Ministeriums für EU-Angelegenheiten gesichert. "Dieses Projekt wird von der EU und der Türkischen Republik finanziell unterstützt", steht auf den himmelblauen Anzeigen, die nun hier und da auf türkischen Webseiten aufleuchten. Angegraben hat Transparency International Türkei dafür den Fördertopf für den Zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen der EU und der Türkei, ein Teil der jährlich Eine-Milliarde-Euro-Beitrittshilfe, die die Türkei von Brüssel erhält.

Sensibles Thema

Das Thema Vermögen und Politiker war immer sensibel und ist es nach den Korruptionsermittlungen vom Dezember 2013 gegen türkische Regierungskreise ganz besonders. Erdoğan und seine Gefolgsleute haben die Ermittlungen als versuchten Staatsstreich der Fethullah-Gülen-Anhänger bezeichnet. Die Säuberungswelle bei Polizei und Justiz rollt immer noch. Wer jetzt aber wieder in den Bankkonten, Handels- und Immobilienregistern von Ministern und Abgeordneten der Regierungspartei bohren will, macht sich ganz schnell des Terrorismus verdächtig.

Der Şeffaflık derneği hatte zuletzt nach der Parlamentswahl im Juni einen Aufruf an die neuen Abgeordneten zur Offenlegung ihrer Vermögen gestartet. Der Zeitpunkt schien geeignet, erstmals hatte die AKP ihre Regierungsmehrheit verloren. Doch die AKP regierte weiter und eroberte bei der Neuwahl im November unerwartet ihre absolute Mehrheit zurück.

Basis für die Offenlegung der Vermögen von Ministern, Abgeordneten, Bürgermeistern und Parteivorsitzenden ist ein Gesetz aus dem Jahr 1990 (Gesetz 3628). Allerdings sind die auf diese Weise offengelegten Vermögen eben nicht "offen", sondern geheim; sie werden nur öffentlich, wenn es zu strafrechtlichen Untersuchungen kommt. Außerdem ist diese Vermögenserklärung nur alle fünf Jahre erforderlich, nicht etwa jedes Mal nach der Wahl ins Parlament. Angaben von Politikern über ihr Privatvermögen können also nicht einfach von NGOs oder Journalisten überprüft werden.

Vermögensangabe

Bei der neuen Onlinekampagne des türkischen Vereins für Transparenz kann man nun den Stand der Dinge bei der freiwilligen Vermögensangabe verfolgen. Bei der Familie des CHP-Vorsitzenden Kemal Kiliçdaroğlu verhält es sich dann zum Beispiel so: vier Wohnungen und ein neun Jahre alter Renault Clio. "Offene Abgeordnete" heißt die Liste, die Teilnahme ist eher verhalten. Derzeit haben nur 25 der 550 Parlamentsabgeordneten eine anklickbare Erklärung abgegeben, beim Ehrenkodex sind es sogar nur 18. Mitgemacht haben bisher auch nur einige Oppositionsabgeordnete der sozialdemokratischen CHP und der prokurdischen Minderheitenpartei HDP; die Mandatare der AKP und der rechtsgerichteten MHP haben ausgelassen. Wer keine Erklärung abgibt, steht auf einer Shame List.

Das gilt cum grano salis für den gesamten türkischen Staatshaushalt, der nur eingeschränkt vom Rechnungshof beäugt werden kann, dafür aber beachtliche öffentliche Bauten möglich macht, etwa den Palastkomplex für Präsident Tayyip Erdoğan in Ankara. Im Open Budget Survey 2015 rangiert die Türkei deshalb nur im unteren Drittel zwischen Benin und Kamerun. Erdoğan selbst hat 2014 bei seiner Kandidatur für das Präsidentenamt eine Vermögenserklärung abgegeben, die auch öffentlich gemacht wurde: 2.000 Quadratmeter Land in der Schwarzmeerprovinz Rize und umgerechnet rund eine Million Euro auf der Bank nennt er sein Eigen. Das 20-jährige Thronjubiläum des Präsidenten und ehemaligen Regierungschefs tritt im März 2023 ein, Wiederwahl 2019 vorausgesetzt. Bis dahin, so steht zu befürchten, wird es noch einige Parallelaktionen geben. Musil meets Erdoğan. (Markus Bernath, 6.1.2016)