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Die schwedischen Eishockey-Junioren haben Ende Dezember die USA 1:0 besiegt. Geht es jedoch um den Alltag, gewinnt Schweden 3:1 gegen die USA, meint "Familie anderswo"-Autor Manfred Grabherr.

Foto: reuters/lehtikuva

Die USA und Schweden verbindet viel, etwa die Liebe zum Eishockey. Dennoch könnten beide Länder in vielerlei Hinsicht nicht unterschiedlicher sein. Nach 14 Jahren Greater Boston Area, Massachusetts und viereinhalb Jahren Uppsala: ein Ländervergleich. Wo lebt es sich gut? Welchen Lebensstil kann man erwarten? Und wie werden die Kinder aufwachsen?

Chancen für den Einzelnen

Beide Länder haben gemein, dass man fast immer einkaufen gehen kann: in den USA oft rund um die Uhr, in Schweden bis spät in die Nacht, und das jeden Tag. Das ist allerdings auch das einzige Verbindende. Während nämlich Handelsketten wie Walmart regelmäßig aufgrund der Arbeitsbedingungen negative Schlagzeilen machen, zählt der schwedische Lebensmittelmarkt ICA zu den beliebtesten Arbeitgebern im Land.

Generell setzen schwedische Unternehmen eher auf das Konzept "Glückliche Mitarbeiter", amerikanische dagegen auf das Motto "Maximaler Profit, koste es (andere), was es wolle". Wobei Letzteres, wertfrei betrachtet, durchaus Möglichkeiten eröffnet, die anderswo kaum vorzufinden sind. Damit verbunden ist nämlich auch eine Risikobereitschaft: Während in Schweden immer noch weitgehend das Senioritätsprinzip herrscht, bekommt man in den USA sehr leicht die Chance, sich zu beweisen.

Schnell erfolgreich

Wenn man jung, gesund, gut ausgebildet und engagiert ist, wird einem die eine oder andere große Aufgabe zugetraut – und bewältigt man die, folgt auch die Belohnung. Natürlich unter der Voraussetzung, dass man den Bossen dazu verhilft, viel Geld zu machen. Mit anderen Worten: Mit den richtigen Skills und zur richtigen Zeit am richtigen Ort kommt man schnell sehr weit.

In meinem Fall war es ein Start-up-Unternehmen, das mir – obwohl nur mit ein paar hundert Dollar in der Tasche in den USA angekommen – schon nach wenigen Jahren die Anzahlung für mein erstes Haus ermöglichte. Ich konnte ein Team von Ingenieuren aufbauen, was sich, neben 200-Millionen-fach ausgelieferter Voice-Dialling-Software, auch ganz gut im Lebenslauf macht.

Überhaupt sind regelmäßige Jobwechsel sehr angesagt: Auch in den universitären Sektor kommt man hinein, ohne die klassische akademische Karriere gemacht zu haben, in meinem Fall ans Broad Institute von MIT und Harvard. Will man also beruflich etwas aufbauen, bieten die USA hervorragende Möglichkeiten.

Chancengleichheit in Schweden

Gesellschaftlich sind die USA aber bei weitem nicht so fortschrittlich wie Schweden: Während vor allem in den Vororten außerhalb der großen Städte noch das traditionelle Familienbild mit arbeitendem Vater und Mutter als Hausfrau vorherrscht, liegt Schweden bei der Gleichheit der Geschlechter weit voran. EU-weit hat es die höchste weibliche Beschäftigungsrate.

Das liegt zum einen daran, dass es einfach zwei Gehälter braucht, um eine Familie zu ernähren und das Dach über dem Kopf zu bezahlen. Es ist zum anderen auch per Gesetz geregelt, dass von jedem, egal welchen Geschlechts, erwartet wird, sich selbst finanziell zu erhalten.

Generell wird das schwedische Streben nach der absoluten Gleichstellung zwischen Mann und Frau gut aufgenommen. So teilen sich beide Eltern die Karenz, beide haben unabhängig voneinander ihre Karrieren, sie haben getrennte Konten, zahlen beide Steuern und finanzieren sich damit auch ihre Pension, für die das Antrittsalter anders als in Österreich übrigens gleich ist. Das ist wirtschaftlich gesehen ein gut funktionierendes Konzept.

Konservativeres Familienbild in den USA

Das Familienleben der US-Amerikaner ist hingegen eher konservativer, was auch systembedingt gefördert wird. So wird die offiziell geschossene Ehe, die in Schweden eher aus der Mode kommt, da sie dort eigentlich keine Vorteile bringt, vom US-Steuersystem begünstigt – und zwar insbesondere dann, wenn ein Ehepartner weit weniger verdient als der andere.

Da bei gemeinsamer Steuererklärung das gesamte eheliche Einkommen als Grundlage dient, werden damit finanzielle Anreize für ein traditionelles Familienbild geschaffen, in dem der Vater möglichst gut verdient und die Mutter Hausfrau ist. Anbieter vollkommen nutzloser Dinge wie Gemüsezerkleinerer oder bellender Türverriegelungen wissen das auszunutzen: Sie füllen ganze Fernsehkanäle mit "Infomercials", die gezielt auf Hausfrauen gemünzt sind, und wissen die "traditionellen amerikanischen Familienwerte" natürlich besonders zu schätzen und zu bewahren.

Und was wird aus den Kindern?

Wobei wir beim wichtigsten Thema wären: Familie anderswo, was wird aus den Kindern? In den USA ist die Richtung klar vorgegeben: Der Wettbewerb ist allgegenwärtig, dort muss man sich von Anfang an bewähren, nicht nur mit schulischer Leistung, sondern auch im sozialen Umfeld. Ist man konform und wird akzeptiert, dann ist man dabei. Passt man dagegen nicht dazu, wird man leicht zum Außenseiter. Hautfarbe spielt dabei eine größere Rolle als Persönlichkeit, was vor allem African Americans und Latinos trifft.

Es war auch tatsächlich so, dass mein Sohn, dem Aussehen nach halb schwarz und halb mitteleuropäisch, der Mentalität nach dagegen sehr österreichisch (leider spielt er nicht so gerne Fußball), mich schon im ersten Jahr in der Schule immer wieder gefragt hat, ob er denn tatsächlich dunkel ist, da er doch einfach nur "normal" sein wollte.

Nicht auszudenken, braucht ein Kind einmal intensivere Betreuung. Da kann es vorkommen, dass das von der Lehrerin zuerst mit einem tiefen Seufzer kommentiert wird, dann mit dem Nachsatz: "Ich werde ihn in meine Gebete einbeziehen."

Individuelle Kinderbetreuung

In Schweden hingegen wird für jedes Kind von Anfang an ein individueller Plan erstellt. Kinder werden entweder in größere Klassen integriert oder in Sonderprogramme, die es an vielen Schulen gibt, die aber genauso viel zählen wie reguläre Klassen. Denn das Recht auf qualitätsvolle Schulbildung für alle Kinder wird kompromisslos umgesetzt.

Es mag schon so sein, dass damit das Niveau der Ansprüche generell niedriger ist als anderswo und Kinder auch in die nächste Klasse aufsteigen, wenn sie das "Nationalprov" (die allgemeine staatliche Prüfung) nicht bestehen. Doch es reflektiert auch den eher entspannten Umgang mit quantifizierbarer Leistung von jüngeren Kindern.

Auch diskutieren die Lehrer mit den Kindern oft und ganz offen über aktuelle politische Ereignisse – was in meiner Schulzeit in den 70ern und 80ern in Österreich vollkommen undenkbar gewesen wäre und auch in den USA natürlich tabu ist. Dort fängt der Schultag mit dem "Pledge of Allegiance" an, dem Treueschwur gegenüber der Nation, der nicht weiter zu hinterfragen ist.

Unkompliziert schwedisch

Schweden leistet sich übrigens einen gewaltigen öffentlichen Verwaltungsapparat, der aber erstaunlich gut organisiert ist und den Bürgern das Leben tatsächlich einfach macht. Auch scheinbar kompliziertere Angelegenheiten wie Ehescheidungen können über den Postweg oder das Internet erledigt werden, ebenso die Anmeldung von Kraftfahrzeugen: Das Nummernschild kommt einfach mit der Post. Will man Letzteres dagegen in Massachusetts machen, sollte man zumindest einen halben Tag an der Registry of Motor Vehicles einplanen.

Alles in allem und für uns persönlich gewinnt Schweden gegen die USA im direkten Vergleich mit einem gefühlten 3:1. Wie das Ergebnis bei der nächsten Begegnung auf dem Eis aussieht, das wird sich zeigen. Zu welcher Seite wir halten werden, das steht fest. (Manfred Grabherr, 28.1.2016)