Markus Prock steht seinem Neffen Gregor Schlierenzauer seit 2006 als Manager zur Seite – auch wenn es darum geht, wie hier im Oktober 2010 in Wien eine Ausstellung von Fotos zu eröffnen, die der Skispringer geschossen hat. "Gregor", sagt Prock, "ist immer nur marschiert, marschiert, marschiert."

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STANDARD: Sie waren einer der Weltbesten im Rennrodeln, in einem Sport, in dem sich alles messen lässt und man weiß, warum man vorn oder hinten liegt. Ihr Neffe, der zweimal die Tournee gewann, ist nach drei enttäuschenden Auftritten nun in Bischofshofen nicht dabei. Wie schwer fällt es Ihnen, das Skispringen zu verstehen?

Prock: Ich kenn' mich im Skispringen nicht aus. Aber im Sport generell kenn' ich mich aus. Überall gibt es Parameter, die passen müssen, Umfeld, Material und so weiter.

STANDARD: Aber Skispringen ist eigen, oder?

Prock: Skispringen ist extrem sensibel. Ich hab' mit Felder und Vettori gemeinsam trainiert. Da hab' ich schon mitgekriegt, dass die einmal gut waren und plötzlich wieder nicht so gut. Im Rodeln oder im Skifahren bin ich schnell, weil ich schnell bin. Ein Hirscher ist grundsätzlich schnell. Wenn der einmal nicht schnell ist, muss ein Fehler passiert sein. Da ist das Skispringen vergleichsweise schwer nachvollziehbar.

STANDARD: Viele fragen sich jetzt, wieso Gregor Schlierenzauer nach acht tollen Jahren plötzlich ein, zwei nicht so gute Jahre hat. Aber sind nicht eigentlich die acht tollen Jahre das Unerklärliche?

Prock: Wenn du auf der Welle, wenn du quasi im Play-Modus bist, hast du die Selbstverständlichkeit automatisiert. Gregor hat mit 16 gewonnen, er war noch im Wachsen. Ich glaub, seine Skilänge hat sich viermal verändert. Und er hat immer gewonnen, gewonnen, gewonnen.

STANDARD: Warum hat er damit aufgehört?

Prock: Gute Frage. Aber es kann eben nicht immer alles perfekt funktionieren, das ist in jedem Bereich so, im Berufsleben, in der Ehe oder eben im Sport. Das ist für Gregor jetzt die Meisterprüfung.

STANDARD: Sie haben ihn selbst als besonders ehrgeizig beschrieben. Inwieweit steht ihm sein Ehrgeiz jetzt im Weg?

Prock: Die Challenge ist, er muss schauen, dass er ruhig bleibt, locker bleibt. Ein echter Spitzensportler will natürlich möglichst schon morgen wieder gut sein. Aber man muss sich Zeit geben. Er wird das wieder schaffen, davon bin ich überzeugt.

STANDARD: Besteht die Gefahr, dass er, wenn es zu lange dauert, den Hut draufhaut?

Prock: Das glaub' ich nicht. Die Aufgabe ist hart. Aber Gregor will es allen zeigen. Er kann das schaffen. Stephan Eberharter hat sechs Jahre lang gar nichts gewonnen, ist Europacup gefahren, und plötzlich hat er wieder begonnen zu siegen.

STANDARD: Hätte Schlierenzauer eine Pause einlegen, vielleicht wie Tina Maze eine Saison auslassen sollen?

Prock: Ich bin kein Freund von langen Pausen. Man kann den einen oder anderen Wettkampf auslassen, so wie Gregor jetzt in Bischofshofen nicht springt, aber nicht eine ganze Saison. Das wär' ein großes Risiko.

STANDARD: Wahrscheinlich wären auch die Sponsoren nicht erfreut. Sie sind seit zehn Jahren Gregors Manager, haben seinen Deal mit Red Bull eingefädelt. Verändert der Misserfolg an der Vereinbarung etwas, oder ist Schlierenzauer automatisch Red-Bull-Sportler, solange er springt?

Prock: Red Bull ist ein sehr treuer Partner. Aber natürlich gibt es Verträge mit Fixum und Erfolgsprämien. Und wenn du weniger gewinnst, dann verdienst du weniger.

STANDARD: Wobei ein Schlierenzauer nicht des Geldes wegen weiterspringt, oder?

Prock: Wenn du zu Beginn der Karriere zum ersten Mal kassierst, schaust du schon. Wenn du die Brötchen im Trockenen hast, spielt das Geld fast keine Rolle mehr. Nur betrifft das 95 Prozent der Sportler nicht.

STANDARD: Schlierenzauer gehört zu den fünf Prozent. Aber muss nicht auch er mit 25 über die Zeit nach der Karriere nachdenken?

Prock: Man denkt über vieles nach, man wird ja auch erwachsen. Man denkt an tausend Sachen, irgendwann ist im Kopf kein Platz mehr. Dem Gregor taugt die Fotografie, taugt Mode. Aber was er nach der Karriere macht, weiß er noch nicht,

STANDARD: Oft heißt es, Spitzensportler werden schnell erwachsen, hätten keine Jugend. Hat Gregor Schlierenzauer das Gefühl, etwas verpasst zu haben?

Prock: Nein, sicher nicht. Er ist sehr dankbar dafür, dass er erlebt hat, was er erlebt hat und immer noch erlebt. Dass er damit noch dazu Geld verdient und dass das ein Privileg ist, versteht er schon. Das schnelle Erwachsenwerden ist relativ. Einer, der mit 16 als Tischlerlehrling sein erstes Geld verdient und daheim abliefern muss, wird auch schnell erwachsen. Spitzensportler stehen halt permanent unter Druck. Die neun Jahre haben Gregor schon auch viel Kraft gekostet, er ist immer nur marschiert, marschiert, marschiert.

STANDARD: Schlierenzauer geht trotz seiner Erfolge nicht wirklich als Volksheld durch. Woran liegt das?

Prock: Das seh' ich auch so. Er sagt, was er sich denkt. Das kommt manchmal nicht so gut rüber. Zum Beispiel als er in Sotschi so halbweinend gesagt hat, das passt nicht und das passt nicht – das will keiner hören. Auch wenn er damit recht hat.

STANDARD: Bei den Olympischen Spielen in Sotschi hatte nicht gepasst, dass sein Stützpunkttrainer nicht vor Ort war. Ist Schlierenzauer – wenn man vergleicht, welche Privilegien bestimmte Alpine haben – vom ÖSV stets adäquat unterstützt worden?

Prock: Ohne den Herren Honig ums Maul schmieren zu wollen – von ÖSV-Seite wird für Gregor alles unternommen. Heinz Kuttin ist ein sehr guter Trainer, das Klima im Team passt, auch wenn jetzt die Serie reißt. Kuttin hat halt nicht fünf Springer, die in die Top zehn springen können, sondern nur zwei. Jede Serie reißt einmal. Wenn die fetten Jahre vorbei sind, muss man schauen, dass wieder einmal fette Jahre kommen. (Fritz Neumann, 5.1.2015)