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Obacht: Alles ist elektrisch!

Foto: AP/Julian Stratenschulte

Das große Einstein-Jubiläumsjahr 2015 ist vorbei. Trotz aller Angriffe und Kritik hat die Allgemeine Relativitätstheorie ihre ersten 100 Jahre erfolgreich überstanden, und es sieht nicht danach aus, dass sie demnächst über den Haufen geworfen wird. Das liegt nicht am Mangel an Alternativen. Besonders im pseudowissenschaftlichen Bereich gehört es fast schon zum guten Ton, Einstein widerlegt haben zu wollen. Ein vor allem im Internet sehr populäres Weltbild wird vom "Elektrischen Universum" beschrieben.

Unter diesem Begriff (wahlweise auch unter "Plasmakosmologie") kann man eine Vielzahl von Hypothesen und Behauptungen finden. Ein zentrales und grundlegendes Modell, auf das sich die unterschiedlichen Proponenten des "Elektrischen Universums" berufen, existiert allerdings nicht. Allen gemeinsam ist aber die Idee, dass die Vorgänge und Phänomene im Kosmos hauptsächlich von der elektromagnetischen Kraft dominiert werden und nicht von der Gravitation.

Trafo-Sterne

Auf der deutschsprachigen Seite elektrisches-universum.de kann man beispielsweise einige – für Astronomen sehr überraschende – Behauptungen lesen:

"Sterne sind elektrische Transformatoren und keine thermonuklearen Gasbälle. Sterne werden durch galaktische Birkeland-Ströme mit Energie versorgt und sind von diesem Energiezufluss abhängig."

Oder:

"Sterne 'gebären' elektrisch andere Sterne und Gas-Planeten. Erdähnliche Planeten und Monde werden ganz ähnlich durch einen 'elektrischen Ausstoß' aus Gasgiganten und den Kernen von Zwerg-Sonnen ‘geboren’. Die Oberflächen der Planeten und ihre Atmosphären entstehen bei der Geburt aus größeren Objekten und durch elektrische Begegnungen mit anderen Planeten. Die Planeten nehmen schnell Umlaufbahnen ein, die der geringsten elektrischen Beeinflussung entsprechen."

Und natürlich auch:

"Es gab keinen 'Urknall'. Das sichtbare Universum ist statisch und viel kleiner, als allgemein angenommen wird."

Einfache Widerlegung

Dass das so gut wie allen Beobachtungen widerspricht, die echte Astronomen und Physiker im Lauf der letzten Jahrzehnte gemacht haben, scheint die Anhänger des "Elektrischen Universums" nicht zu stören. Für sie ist die Elektrizität das Maß aller Dinge, und sie sehen die gesamte moderne Astronomie seit Jahrzehnten auf einem Irrweg.

Es ist einfach, diese Thesen zum "Elektrischen Universum" zu widerlegen. Wie sich die Umlaufbahnen der Planeten verhalten, wissen wir seit Johannes Kepler und Isaac Newton. Auch ohne die jüngeren Verbesserungen durch Albert Einstein sind deren Theorien schon gut und exakt genug, um beispielsweise Sonnenfinsternisse sekundengenau vorherzusagen oder Raumsonden punktgenau zu ihren Zielen auf weit entfernten Himmelskörpern zu steuern.

Hätten wir tatsächlich jahrzehntelang falsch verstanden, wie sich die Planeten bewegen, und den angeblichen Einfluss der elektrischen Kräfte ignoriert, wäre das kaum möglich. Es ist auch wenig überraschend, dass die Arbeiten der Anhänger des "Elektrischen Universums" immer sehr oberflächlich bleiben. Eine ausführliche himmelsmechanische Berechnung der "elektrischen Umlaufbahnen" der Planeten scheint nicht zu existieren (für Hinweise wäre ich aber dankbar).

Verschwörungstheoretisches Geraune

Wenn das "Elektrische Universum" für sich in Anspruch nehmen möchte, tatsächlich eine Alternative zur bestehenden Wissenschaft zu sein, wäre das aber dringend nötig. Eine neue Beschreibung des Kosmos muss mindestens so gut sein wie die, die sie ersetzen will. Um ernst genommen zu werden, müssten die Anhänger des "Elektrischen Universums" eine rein auf den elektrischen Kräften basierende mathematische Formulierung der Bewegung der Himmelskörper präsentieren, die die Position der Planeten mindestens genauso gut vorhersagt, wie es Newtons Gravitationstheorie beziehungsweise Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie tun.

Und die gleiche Theorie muss in der Lage sein, jede Menge andere Phänomene im Universum zu beschreiben. Sie muss beschreiben, warum ein Stein auf der Erde zu Boden fällt, warum Galaxien sich so bewegen, wie sie es tun, wie die chemischen Elemente im Inneren der Sterne entstehen, wie sich das Universum entwickelt hat. Und sie muss all die anderen Vorgänge erklären können, zu deren Beschreibung derzeit die Gravitation herangezogen wird.

Das alles tut das "Elektrische Universum" aber nicht. Es existiert keine ausgearbeitete mathematische Theorie, es gibt keine wissenschaftlichen Publikationen. Es gibt nur jede Menge unbelegte Behauptungen und verschwörungstheoretisches Geraune über die "Schulwissenschaft", die alle Alternativen unterdrücken und ihre Vertreter lächerlich machen würde.

Knackpunkt Wissenschaftsvermittlung

Beim "Elektrischen Universum" handelt es sich um eine klassische Pseudowissenschaft, wie man sie haufenweise im Internet finden kann. Verglichen mit all dem anderen Unsinn, der auf dieser Welt existiert, ist diese spezielle Theorie vergleichsweise unbedeutend. Es gäbe keinen Anlass, sich näher damit zu beschäftigen – wenn ich nicht bei der Recherche zu diesem Thema auf diesen Absatz in einem "Einführungsbuch" zum "Elektrischen Universum" von Tom Findlay gestoßen wäre:

"The culmination of reading many books on cosmology, relativity, time, and quantum theory left me feeling rather uncomfortable, confused, and significantly dissatisfied. I had been substantially put off by the apparent complexity of it all (...) Then, quite by chance, I came across a YouTube video that outlined an alternative set of theories on how our universe works. (…) I was pleasantly surprised by my rapid uptake of these new ideas and found myself thoroughly immersed in a description that seemed to be making much more sense than the theories of the [Standard Model of the Universe]."

Besser kann man das Problem und vor allem die enorme Bedeutung der Wissenschaftsvermittlung kaum beschreiben! Tom Findlay hatte den Wunsch, die Welt zu verstehen; ein Wunsch, den er mit sehr vielen anderen Menschen teilt. Gerade Astronomie und Kosmologie üben auf viele Menschen eine enorme Faszination aus, und das ist kein Wunder: Immerhin geht es hier um die grundlegenden Fragen nach dem Ursprung unserer Welt und von uns selbst.

Nachvollziehbare Verwirrung

Aber Wissenschaft ist eben auch kompliziert. Die Erkenntnisse der modernen Forschung widersprechen oft dem, was wir in unserem Alltag erfahren. Wissenschaftliche Methodik und die Art und Weise, wie Forscher arbeiten, sind in der breiten Öffentlichkeit meist unbekannt. Wissenschaftsberichterstattung spielt in den Medien leider sehr oft eine untergeordnete Rolle. Es ist nachvollziehbar, wenn man sich dann, wie Tom Findlay, angesichts der modernen Forschung "unbehaglich, verwirrt und unzufrieden" fühlt. Und es wäre die Aufgabe der Wissenschaft, dafür zu sorgen, dass das nicht passiert!

Unsere Welt ist enorm faszinierend, und die Wissenschaft findet immer neue, noch faszinierendere Dinge heraus. Unsere Welt wird immer stärker von den Erkenntnissen der Forschung geprägt, und darüber Bescheid zu wissen ist wichtig. Das zu kommunizieren – und damit auch die Bedeutung der Wissenschaft – sollte im Interesse der Forscherinnen und Forscher liegen. Stattdessen überlässt man diese bedeutsame Aufgabe Leuten, die zwar keine Ahnung, aber dafür (scheinbar) leicht verständliche Antworten haben: Homöopathen, Astrologen oder eben Pseudowissenschaftern wie den Vertretern des "Elektrischen Universums".

Wissenschaftskommunikation gefordert

Der große Astronom und Wissenschaftsvermittler Carl Sagan hat in seinem Buch "Der Drache in meiner Garage" geschrieben: "Die Wissenschaft vermag ein mächtiges Gefühl des Staunens zu wecken. Aber das gelingt auch der Pseudowissenschaft. Spärliche und schlechte populärwissenschaftliche Darstellungen lassen ökologische Nischen frei, welche die Pseudowissenschaft prompt ausfüllt."

Genau das nicht zuzulassen sollte zu den vorrangigen Aufgaben der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus gehören! (Florian Freistetter, 5.1.2016)