So sieht eine preisgekrönte Modekollektion aus: Die Londonerin Hannah Jinkins wird im kommenden Jahr eine eigene Kollektion für H&M designen.

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Die Londonerin Hannah Jinkins gewann den mit 50.000 Euro dotierten H&M-Modepreis.

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Von dem kleinen See, dem "Round Pond" im Hyde Park, schnattern die Enten herüber, durch die Fenster des schmalen, langgestreckten Gebäudes fällt die Mittagssonne: Doch statt des üblichen Afternoon-Tea wird in der Orangerie des Kensington Palace heute Mode gereicht. H&M kürt den Gewinner seines diesjährigen Design-Awards. Das ist auch nicht zu übersehen, denn in die Orangerie ist für wenige Stunden skandinavischer Minimalismus eingezogen: weiße Stellwände vor weißer Stuckatur. Dazu hie und da ein cremefarbenes Rosenarrangement, Kellner reichen alkoholfreie Drinks und sehen dabei so aus, als erledigten sie gerade einen Modeljob.

Im rechten Flügel begutachtet die internationale Jury die Ideen der acht Finalisten, darunter der britische Fotograf Nick Knight, die Stylistin Katy England, Balmain-Designer Olivier Rousteing, die Hollywood-Schauspielerin Kate Bosworth und die Bloggerin Chiara Ferragni.

Modeträume

Made in Bangladesh, made in Turkey, made in Ethiopia? Was hier über den offenen Kleiderstangen hängt, hat mit der Mode für die Massen, mit der H&M in den letzten Jahrzehnten zu einem der mächtigsten Textilkonzerne aufgestiegen ist, wenig gemein. In der Orangerie des Kensington-Palastes dürfen die Modeträume aus den Ateliers der Kunstuniversitäten und Modeschulen, die sich noch nicht den Produktionszyklen der Modeindustrie haben beugen müssen, Platz nehmen.

Ka Wa Key Chow zum Beispiel, Absolvent des Royal College of Art, hat ein dickes Buch, beklebt mit historischen Aufnahmen von Rikscha-Trägern mit breiten Hosen und großen Hüten, neben sich liegen. Allein in dem losen Männerstrickmantel aus Pastellfäden, den er vom Bügel nimmt, steckten ungefähr zehn Tage Handarbeit, erklärt er. Es scheint, als hätten sich im Finale acht arbeitsame Überzeugungstäter gegen die rund 400 Mitbewerber von 40 ausgesuchten Modeschulen durchgesetzt.

Gewinnerin Hannah Jinkins mit den Jurymitgliedern des H&M-Design Awards 2016.
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Viele Design-Bewerbe

Der H&M-Design-Preis, der zum fünften Mal und erstmals statt in Stockholm in London vergeben wird, ist nur ein Modewettbewerb von vielen. Da wäre der Chloé-Award in Hyères, der Triestiner Its-Award, der LVMH-Preis in Paris: sie alle unterschiedlich ausgerichtet und zwischen 3000 und 300.000 Euro dotiert.

Dass sich die Modeindustrie in den letzten Jahren die Förderung des kreativen Nachwuchses auf die Fahnen geschrieben hat, klingt allerdings zu gut, um eine rein uneigennützige Angelegenheit im Dienste der Modeabsolventen zu sein. Die bekommen neben dem Preisgeld schließlich auch professionelle PR und können erste Branchenkontakte knüpfen. Was die Sponsoren von H&M bis LVMH vom Tamtam um die jungen Kreativen haben? Sie sichten Nachwuchstalente, und sie tun etwas fürs eigene Image. Junge Kreative zu unterschützen gilt in Zeiten atemlos produzierter Fast Fashion als ehrenwerte Angelegenheit. Oder?

Claudia Reifberger, künstlerische Assistentin an der Modeklasse für angewandte Kunst Wien, rät angesichts der Fülle an Preisen zur Vorsicht. "Wir schauen uns sehr genau an, welche wir unseren Studenten empfehlen. Bei vielen Unternehmen liegt der Verdacht nahe, dass sie sich in erster Linie mit den Arbeiten von Absolventen und den klangvollen Namen von Kunst- und Mode-Ausbildungsstätten schmücken wollen."

Rechte & PR

Solange die Teilnahme an einem Wettbewerb eine Win-win-Situation darstelle, sei das kein Problem. Sie rät aber, die Augen offen zu halten. Es gebe immer wieder Fälle, in denen die Rechte der Bewerber zweifelhaft behandelt würden. Die Modedesignerin Roshi Porkar, die an der Modeklasse studiert hat und 2013 in Hyères den mit 15.000 Euro dotierten Chloé-Award gewonnen hat, zieht im Rückblick auf den Wettbewerb in Südfrankreich eine positive Bilanz.

Dank ihres Gewinns seien Mercedes-Benz und das deutsche "Elle"-Magazin auf sie aufmerksam geworden. Die boten ihr eine Laufstegpräsentation und eine Ausstellung während der Fashion Week in Berlin an. "Das brachte mir, auch weil Tilda Swinton während der Show präsent war, viel Presse." Ihr Resümee: Seit dem Festival sei sie gut beschäftigt. Zwar arbeite sie weiter an ihren eigenen Kollektionen, halte sich aber für die Zukunft alles offen. "Gut eingeführte Preise garantieren Aufmerksamkeit", bestätigt auch Claudia Reifberger. Die PR sei für einen jungen Designer neben dem Preisgeld und dem Knüpfen von Branchenkontakten der größte Vorteil gegenüber staatlich subventionierten Förderungen.

Tim Labendas Weg

Roshi Porkar, der der Gewinn in Hyères Türen geöffnet hat, gibt allerdings zu bedenken, dass die Absolventen prominenter, bestens vernetzter Ausbildungsstätten wie dem Central Saint Martins oder Parsons nach dem Studium bessere Voraussetzungen hätten, von großen Häusern wahrgenommen zu werden. Sie kenne nur eine Handvoll Absolventen der Modeklasse, die für etablierte Modehäuser arbeiteten: "Ich würde mir wünschen, dass sich die Angewandte mehr um diese Kontakte bemüht."

Einer, der es geschafft hat, sich auch als Absolvent der baden-württembergischen Hochschule Pforzheim durchzuboxen: Tim Labenda. Den Weg geebnet haben dem umtriebigen Designer seit Beendigung seines Studiums eine Menge Preisgelder – so wie 2014 der mit 10.000 Euro dotierte Steffl Best Newcomer Award. Heute verantwortet Labenda neben seinem eigenen Label die Männermode von Hess Natur. Was er bei all den Wettbewerben vermisst? "Es fehlen Preise, die das eigene Label langfristiger fördern und unterstützen – zum Beispiel mithilfe eines Coachs. Meist bleibt es ja bei Geld, Aufmerksamkeit und Kontakten. Viele Designer aber brauchen viel dringender jemanden, der ihnen generell beim Aufbau ihres Labels hilft."

Londons Gewinnerin

Die Londonerin Hannah Jinkins muss sich mit solchen Fragen allerdings noch nicht auseinandersetzen. Die Kameras und Smartphones sind in der Orangerie des Kensington-Palastes auf die schwarz gekleidete Absolventin des Royal College of Art gerichtet: Jinkins gewinnt den mit 50.000 Euro dotierten Design Award. Der beinhaltet außerdem einen ersten Praxistest: Mit H&M wird sie für den kommenden Herbst einige Stücke entwickeln, die auf der DNA ihrer Kollektion fußen.

Warum Jinkins letztendlich das Rennen gemacht hat? "Sie hat einen völlig neuen Zugang zur Frauenmode gezeigt", erklärt H&M-Kreativberaterin Ann-Sofie Johansson. Jinkins' Mixtur aus grobem Denim und raffinierten Details, der burschikose Overall mit den messingfarbenen Verschlüssen, der übergroße Pullover mit den breiten Strickbünden in Rostorange wurden zwar an weiblichen Models vorgeführt, die Designerin versteht ihre Kollektion jedoch als "genderless". Damit hat sie den Nerv der Modeindustrie getroffen. (Anne Feldkamp, RONDO, 14.1.2016)