Ein Arzneimittelwirkstoff, der den Effekt des körpereigenen Hungerhormons Ghrelin imitiert, könnte zum ersten deutlich wirksamen Medikament bei "Auszehrung" infolge bösartiger Erkrankungen werden.

Ghrelin ist ein im Magen freigesetztes Hormon, das dem Gehirn "Leere" signalisiert und damit in der Folge ein Hungergefühl auslöst. "Markant ist auch die Korrelation von Ghrelin und Hunger: So weisen Menschen, die fasten, einen erhöhten Ghrelinspiegel auf, andererseits löst eine intravenöse Gabe von Ghrelin ein starkes Hungergefühl aus.

Patienten, die an Anorexia nervosa leiden, weisen hohe Ghrelinwerte auf", schreibt Spreitzer vom Department für pharmazeutische Chemie der Universität Wien in der Österreichischen Apothekerzeitung.

Gewichtszunahme erwünscht

An Wirkstoffen, die Ghrelin für eine Behandlung im Rahmen einer gewünschten Gewichtszunahme imitieren oder deren Wirkung als "Schlankmittel" aufheben, wird seit Jahren gearbeitet.

Mit Anamorelin gibt es jetzt als Appetit-Förderer eine Substanz, welche Ghrelin-ähnlich ist und bei Zulassung durch die Arzneimittelbehörden speziell bei Krebspatienten mit sogenannter Kachexie ("Auszehrung") eingesetzt werden soll. Im Rahmen von fortgeschrittenen Tumorerkrankungen kommt es häufig zur starken Gewichts- und Muskelmassen-Abnahme, weiters zu Schwäche- und Ermüdungszuständen. Der sogenannte Ghrelin-Agonist soll den Appetit erhöhen und eine anabole Wirkung auslösen.

In zwei klinischen Studien zur Wirksamkeit (Phase-III) wurde die Substanz im Vergleich zu einem Scheinmedikament bei insgesamt rund 500 Patienten mit Lungenkarzinomen im Stadium III und IV untersucht. Anamorelin wurde täglich über drei Monate hinweg verabreicht. Es handelt sich um eine orale Darreichungsform zum Schlucken.

Wie es bei Krebspatienten wirkt

In der ersten Studie stieg die Magermasse (Lean Body Mass – das ist das Körpergewicht minus Speicherfett) binnen zwölf Wochen im Durchschnitt um 1,1 Kilogramm (Placebo: 0,44 Kilogramm). Die Gesamtgewichtszunahme betrug in der Anamorelin-Gruppe insgesamt im Durchschnitt 2,2 Kilogramm.

In der zweiten Studie zeigte sich mit einer Gewichtsveränderung von plus 0,95 Kilogramm unter der Behandlung mit dem Wirkstoff und minus 0,57 Kilogramm unter Placebo ebenfalls ein relativ deutlicher Unterschied.

"Keine Zweifel an der Wirkung dürfte jedenfalls in der Dopingszene vorherrschen. Anamorelin ist bereits auf der neuen Dopingliste der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA als verbotene Substanz angeführt", schrieb Spreitzer abschließend.

Eine Zulassung als Arzneimittel steht für die Substanz, die von dem Schweizer Pharma-Unternehmen Helsinn Therapeutics entwickelt worden ist, allerdings noch aus. (APA, 4.1.2016)