Die Kolumnistenkollegin Anneliese Rohrer von der Presse hat jetzt einen berührenden öffentlichen Brief an einen langjährigen Leser und Verfasser von kritischen Reaktionen geschrieben. Sie macht sich Sorgen um ihn, weil er, seit Jahrzehnten gelähmt im Rollstuhl, nicht mehr auf ihre Mails antwortet.

Möge es ihm gutgehen – und auch all den anderen, die sich regelmäßig an uns Journalisten wenden. Mit Ausnahme von ziemlich üblen Leuten, die nicht so selten sind, kann man die meisten als Partner betrachten. Die Möglichkeit des E-Mails und der (viel häufigeren) Postings ergibt eine neue Gelegenheit des Austauschs mit dem Leser – oder User, wie auch wir halben Onliner sagen.

Klar, man muss das alles in Perspektive sehen. Auch wenn ein Artikel oder Kommentar tausende Postings auslöst, muss das immer noch nicht repräsentativ für die "Volksmeinung" sein. Es gibt alte Kundschaften (mit zehntausenden Postings über die Jahre), es gibt Kampfposter aus Parteien und allen möglichen Bewegungen, es gibt unerträgliche Besserwisser und (selten) solche, die es manchmal wirklich besser wissen.

Es gibt die Neigung des Homo austriacus, eher zu nörgeln. Es gibt, in den sozialen Netzen überhaupt, einen gewaltigen Mangel an zivilisiertem Verhalten. Viele schreien "Zensur!", wenn man ein strafrechtlich oder ethisch relevantes Post löscht. Oder hartnäckige Verstöße mit Sperren ahndet. Manche sind einfach ND (nur deppert).

Dennoch weist schon die Zahl der Postings auf etwas hin, das für Journalisten enorm wichtig ist: welche Themen die Leute aufregen. Das Feedback über die Relevanz von Themen (auch an der Zahl der Zugriffe ablesbar) ist die eine Sache. Die andere ist die Möglichkeit, mit dem Leser/User eine – zivilisierte – Auseinandersetzung zu führen. Wobei der Begriff "zivilisiert" ohnehin weit gefasst ist.

Was mir als jemand, der auf fast alle Mails und auf viele Posts antwortet, am meisten zu denken gibt: Wenn man antwortet, und zwar oft mit einem groben Keil auf einen groben Klotz, dann kommt oft die Reaktion: Ich hätte nie gedacht, dass Sie mir antworten werden.

Das scheint in die allgemeine Frustration gegenüber dem "Establishment" zu passen. Auch die Medien gehören für viele zum undurchschaubaren, unappellierbaren "politisch-interessengesteuerten Komplex". Doch das stimmt nur für gewisse Medien.

Damit das klar ist: Seriöse, professionelle Journalisten sind notwendig, um Nachrichten einzuordnen, ihnen einen Rahmen zu geben, vertretbare Meinungen von Hass zu scheiden. Die blühenden Blogs mit ihrem blühenden Unsinn an Verschwörungstheorien und gezielter Desinformation sind eine Plage und eine Gefahr für die politische Kultur. Leser/User können interessante Gastbeiträge liefern, aber kein professionelles Medium gestalten.

Dennoch ist die technologische Möglichkeit, mit dem Leser/User viel einfacher zu kommunizieren, eine Verbesserung, auch für die demokratische Kultur. Wichtig ist nur, auch in diesem Jahr: Zivilisiert bleiben! (Hans Rauscher, 2.1.2016)