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Bis zu 80 Prozent der in Brasilien gefangenen Hummer stammen Schätzungen zufolge aus illegaler Fischerei.

Foto: Reuters / Lee Celano

Nachts wagt sich Raimundo Bonfim nicht vor die Türe, und tagsüber verlässt er sein kleines Häuschen mit Blick auf die idyllische Bucht von Redonda nur in Begleitung. Der Hummerkrieg an Brasiliens Nordküste hat schon zu vielen das Leben gekostet, und der 55-jährige Rollstuhlfahrer steht auf der schwarzen Liste der Hummerpiraten ganz oben. Das bringt den ehemaligen Mitarbeiter der Umweltbehörde Ibama aber ebenso wenig von seinem Kampf gegen die illegalen Fischer ab wie die lähmende Staatsbürokratie.

Welche Mammutaufgabe Bonfim vor sich hat, erahnt man keine drei Kilometer entfernt in der Strandkneipe der Nachbarbucht von Ponta Grossa. Dort steht frischer Hummer auf der Speisekarte – obwohl gerade Schonzeit ist. Am Strand verstauen ein paar junge Leute hastig die Sauerstoffpumpe und den Gartenschlauch: Damit tauchen die Hummerpiraten nach dem begehrten Krustentier. Erlaubt sind aber nur Reusen.

Kampf gegen Hummerpiraten

"Die Piratenboote gehören oft Strohmännern von Politikern und Unternehmern", erzählt der Schweizer Umweltaktivist Rene Schärer. Der Ex-Swissair-Manager verbringt an der Küste von Ceará seinen Lebensabend und kämpft an vorderster Front gegen die Hummerpiraten. "Sie heuern junge Leute an, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen", erzählt er.

Oft trennt nur eine Bucht diejenigen, die Gesetze beachten, und diejenigen, die sie brechen. Fischer gegen Fischer – das macht die Sache nicht einfacher. Wieder und wieder haben sich die "Artesanalfischer" des Bundesstaats Ceará, die in traditionellen hölzernen Nussschalen aufs Meer segeln, bei den Behörden beschwert: weil ihre Reusen gestohlen werden, weil die Fischgründe wie leergefegt sind, weil Boote ohne Lizenz verbotenerweise nach den Langusten tauchen und dabei alles mitnehmen, was ihnen zwischen die Finger kommt – laichende Weibchen ebenso wie viel zu kleine Jungtiere. Hummer weckt Begehrlichkeiten, er geht in den Export und bringt zehnmal mehr Geld als Fisch.

Schneller Profit

Deshalb heißen die Riffe, an denen sich die Tiere gerne versammeln, bis heute im Volksmund "Bank". Die goldenen Zeiten sind aber vorbei, heute kämpfen die Fischer um das Überleben ihres Berufs. "Es begann in den 70ern und war wie ein Fieber, jeder wollte was abhaben", erzählt Antonio Adauto, Langustenexperte vom Forschungsinstitut Labomar der staatlichen Universität in Fortaleza. "Und weil es hier im armen Nordosten sonst kaum Arbeitsplätze gibt, subventionierte der Staat den Hummerfang mit billigem Benzin und Steuererleichterungen." Der Sektor blähte sich auf wie eine Seifenblase, nur der schnelle Profit war wichtig. Es gab zwar Regeln und eine Schonzeit, aber daran hielt sich niemand. Die Hummerexporteure finanzierten Kampagnen, die Politiker schauten weg. Bis heute ist Brasilien das einzige Land, das den Fang eiertragender Hummer erlaubt.

Die Artesanalfischer hatten das Nachsehen gegenüber den schnelleren Motorbooten der Piraten. Wieder und wieder wurden sie von den Behörden vertröstet – bis sie selbst ein motorbetriebenes Boot kauften, auf Patrouille gingen und ein Piratenschiff nach dem anderen kaperten. Ein Dutzend der aufgebrachten Boote stapelte sich am Strand, als die Piraten konterten – mit Pistolen. Als es Tote gab, schritt die Polizei ein: Sie las den Fischern die Leviten.

80 Prozent aus illegaler Fischerei

"Die Polizei hat die beschlagnahmten Boote angeblich in Sicherheitsverwahrung genommen", erzählt Tobias Suárez von der lokalen Fischergewerkschaft. "Ein paar Wochen später waren sie verschwunden, wieder in den Händen der Piraten." Erneut berichtete die Presse, und endlich starteten Patrouillen im Meer. Aber nur kurzzeitig und punktuell. "Die Hummerpiraterie hat nie wirklich aufgehört", stellt Bonfim fest. Bis zu 80 Prozent des gesamten in Brasilien gefangenen Hummers stammen aus illegaler Fischerei, schätzt Schärer.

Voriges Jahr bekam das Land die Rechnung serviert: Die Jahresproduktion ist um mehr als die Hälfte eingebrochen, von 11.000 auf 5000 Tonnen. "Für die Langusten sieht es düster aus", sagt Forscher Adauto. "Sie werden zwar nicht aussterben, aber als wirtschaftliche Handelsware verschwinden." Mehr als 100.000 Arbeitsplätze stehen allein im Bundesstaat Ceará auf dem Spiel. Schon jetzt müssen die Hummerfischer während der sechsmonatigen Schonzeit im Jahr vom Staat mit einem Mindestgehalt von 788 Reais (rund 186 Euro) monatlich entschädigt werden, um zu überleben.

Forderung nach Herkunftsnachweisen

Erstmals reagierte jetzt auch der Staat: Rund die Hälfte der lizenzierten Langustenfangflotte verloren bei einer Inspektion im Vorjahr die Lizenz. Denn der Druck auf Brasiliens Regierung wächst. Die Importeure in den USA und Europa verlangen zunehmend Herkunftsnachweise. Dahinter steckt vor allem Schärer, der Kontakte zu den US-Importeuren geknüpft hat, die die wichtigsten Abnehmer brasilianischen Hummers sind. Sie haben jetzt ein Programm für nachhaltige Hummerfischerei (FIP) gestartet.

Für Schärer sind die Langusten nur die Spitze des Eisbergs. "Die industrielle Fischerei macht weltweit den Beständen an Krustentieren und Fischen den Garaus", hat der Schweizer festgestellt. Das gilt weltweit: Die Anchovis und Makrelen vor Peru sind ebenso rar geworden wie die Königskrabben vor Alaska oder der Kabeljau im Nordatlantik. (Sandra Weiss aus Prainha, 01.01.2016)