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Der Auftritt wirkte seriös, fast schon staatsmännisch. Unaufgeregt gab sich der Studiogast, obwohl es um das Reizthema Flüchtlinge ging. Die Argumentation blieb sachlich, von Gehässigkeit keine Spur. Nicht einen Seitenhieb bekam die politische Konkurrenz ab.

Verkehrte Welt: Es war kein honoriger Regierungspolitiker, der da in der "Zeit im Bild 2" auftrat, sondern Norbert Hofer, Vizechef der FPÖ. Die größte Oppositionspartei hat es gar nicht mehr nötig, SPÖ und ÖVP permanent vor sich her zu prügeln. Dieses Geschäft erledigen die Koalitionsparteien ohnehin gerne selbst.

Wieder einmal war es Reinhold Lopatka, der sogar die Freiheitlichen konstruktiv erscheinen lässt. Zum x-ten Mal verbiss sich der ÖVP-Klubchef dieser Tage ins Wadl von Werner Faymann. Der Kanzler hätte längst auf EU-Ebene eine Lösung der Flüchtlingskrise durchsetzen müssen, feixte Lopatka – als hätten da nicht noch 27 andere Regierungschefs ein Wort mitzureden. Billiger kann Polemik kaum ausfallen. Den von der neuerdings ironiebegabten SP-Zentrale verliehenen Titel "Oppositionspolitiker des Jahres" hat sich Lopatka redlich verdient.

Das ist kein Plädoyer für Maulkörbe in der Politik – im Gegenteil: Öffentliche Debatten sind eine Voraussetzung, damit Demokratie funktioniert. Erst der Abtausch der Argumente bietet den Wählern die Chance, sich eine fundierte Meinung über die Positionen der Bewerber zu bilden. Wahl- und Parteiprogramme sind dafür viel zu beliebig.

Angewiesen auf Auseinandersetzungen vor Publikum sind auch die Regierungsparteien selbst. Nur so können sie um den nötigen Rückhalt in der Öffentlichkeit werben, um Anliegen gegen einen nahezu gleich starken Koalitionspartner durchzubringen. Außerdem gibt es ja noch Wahlen zu schlagen – und für verwechselbare Nullgruppler stimmt niemand.

Es ist deshalb legitim, wenn sich Koalitionspolitiker mit dem Volk als Schiedsrichter Sachargumente um die Ohren hauen. Die ÖVP soll ruhig die Pensionspolitik des roten Sozialministers attackieren, die SPÖ das Steuerkonzept des schwarzen Finanzministers zerpflücken, solange der Weg in einen Kompromiss offenbleibt. Weil ohne Emotion in einer Meinungsschlacht nichts zu gewinnen ist, dürfen dabei auch einmal die Wogen hochgehen – Streit eben.

Doch gerade jene sachliche Substanz, die den Konflikt rechtfertigt, fehlt den koalitionären Scharmützeln immer wieder. Die künstliche Aufregung, die Lopatka in der Flüchtlingsdebatte so gerne entfacht, ist dafür ein gutes Beispiel. In den von ihm aufgeworfenen Fragen gibt es eigentlich keinen echten Dissens, die Regierungspartner wollen im Kern dasselbe: gegen die Blockierer in der EU eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge durchsetzen, gegen Widerstand in den Bundesländern genügend Quartiere für Asylwerber schaffen. Dennoch fällt der eine dem anderen in den Rücken.

Die Hacklschleuderei, die auch manchem SP-Politiker nicht fremd ist, schwächt die Regierung doppelt: realpolitisch, weil sich die Koalitionäre im föderalen Österreich nie gegen die Länder durchsetzen werden, wenn sie sich gegeneinander ausspielen lassen; atmosphärisch, weil das Vorurteil von der Politik als einem oberflächlichen Kasperltheater Nahrung bekommt. Viele Wähler können durchaus zwischen sachlichem Streit und Wadlbeißerei unterscheiden. Mancher Koalitionspolitiker muss das noch lernen. (Gerald John, 29.12.2015)