Foto: APA/EXPA/JFK

Oberstdorf – Auf die Frage nach dem Warum geht Heinz Kuttin nicht wirklich ein. Warum sollte die Serie halten, warum sollte zum achten Mal en suite ein österreichischer Skispringer gewinnen? Das will die ganze Welt und wollte somit auch der STANDARD von Kuttin wissen, bevor heute in der Oberstdorfer Erdinger Arena, auf dem Schattenberg-Bakken, die 64. Vierschanzentournee beginnt. Der ÖSV-Cheftrainer weicht aus, gibt sich entspannt, er redet vom "Selbstvertrauen", das "zurückgekehrt" sei, und davon, dass die Österreicher "die Favoriten ärgern wollen".

Warum eigentlich nicht? Kuttin ist wahrscheinlich zu wenig Sprücheklopfer, um einfach zurückzufragen. Immerhin klingt es durch, dieses "Warum eigentlich nicht", wenn der 44-jährige Kärntner, der 1991 Doppelweltmeister war, der Tournee entgegenblickt und – plaudert. Kuttin verweist darauf, dass Österreich schon vor zwei Jahren, da Thomas Diethart fast aus dem Nichts zum Tourneesieg sprang, und vor einem Jahr (Stefan Kraft) nicht zu favorisieren gewesen war. Auch mit Wolfgang Loitzl, mit dem die Serie 2009 begann, und mit Andreas Kofler (2010) hatte man – im Gegensatz zu Thomas Morgenstern (2011) und Gregor Schlierenzauer (2012, 2013) – nicht rechnen müssen.

Zumindest kein Nachteil

Mag sein, dass Oberstdorf für die Österreicher, die in dieser Saison noch auf einen Sieg warten, gerade recht kommt. "In Oberstdorf", sagt Kuttin dem STANDARD, "haben wir im Herbst wirklich viel trainiert." Das lag einerseits am Föhn, der am Innsbrucker Bergisel eine Zeit lang kein Spurfräsen zuließ, andererseits am Fleiß der Oberallgäuer. Kuttin: "Sie haben sich schon im Oktober die Arbeit angetan und für ordentliche Verhältnisse gesorgt." Das nützten viele Nationen, voran die Deutschen, aber auch die Slowenen und Norweger. Die Österreicher haben laut Kuttin "zumindest keinen Nachteil" und in Oberstdorf immerhin sechs der jüngsten neun Bewerbe gewonnen. Vor einem Jahr legte Kraft hier die Basis zum Gesamtsieg.

Kraft und Michael Hayböck, der Tourneezweite, werden gerne "das fliegende Doppelzimmer" genannt, frei nach Erich Kästner sozusagen. Es hat im ÖSV-Lager Tradition, dass sich zwei gegenseitig pushen, siehe Schlierenzauer und Morgenstern, siehe Ernst Vettori und Andreas Felder, siehe Anton Innauer und Karl Schnabl. Große Namen. So weit sehen sich Kraft, der 22-jährige Salzburger, und Hayböck, der 24-jährige Oberösterreicher, noch nicht. Wobei sich vor allem Hayböck, der in dieser Saison mit zwei zweiten Plätzen als einziger Österreicher schon auf Weltcup-Podesten stand, einiges zutraut. "Der Gesamtsieg ist möglich", sagte er in Oberstdorf, "aber noch sehr weit weg."

Auf dem Radar

Von Oberstdorf nach Bischofshofen, wo am 6. Jänner die 64. Tournee endet, sind es 221 Kilometer Luftlinie und 350 Kilometer mit dem Auto – oder sogar etwas mehr, wenn man unterwegs noch Garmisch-Partenkirchen (1. Jänner) und Innsbruck (3. Jänner) ansteuert. Was den Gesamtsieg angeht, so muss man vor allem erst an Peter Prevc vorbei. Der 23-jährige Slowene, der zuletzt drei Siege en suite gefeiert hat, gilt als großer Favorit. Vor einem Jahr belegte Prevc sowohl in Oberstdorf als auch insgesamt hinter Kraft und Hayböck Rang drei.

Auch den Deutschen Severin Freund und den einen oder anderen Norweger sollte man auf dem Radar haben, doch die Österreicher fühlen sich wohl in ihrer Rolle. "Wir werden angreifen", sagt Kuttin. "Wir sind in einer sehr guten Situation." Natürlich macht er sich Gedanken darüber, wie er Schlierenzauer und Kofler, der erst in Innsbruck in die Tournee einsteigt, an die Spitze zurückführen kann. Schlierenzauer entschied sich erst kurz vor Weihnachten zur Teilnahme, nachdem er festgestellt hatte, das Skispringen sei noch immer seine "große Liebe". Top-zehn-Plätze würde der ehemalige Seriensieger schon als Erfolg verbuchen. Am Abend des Dreikönigstags werden sowieso alle klug sein und auf die Fragen nach dem Warum die eine zwingende Antwort geben: darum. (Fritz Neumann, 28.12.2015)