Über das weitere Schicksal der vor knapp 2000 Jahren untergegangenen Stadt am Golf von Neapel entscheiden nicht nur ausreichende finanzielle Mittel, sondern vor allem politischer Wille. Italiens Regierungschef Matteo Renzi verkündet jedenfalls: "Pompeji ist gerettet!"

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In Italien erfreut sich die Redensart vom halbvollen Glas, das zugleich halbleer sei, großer Beliebtheit. Bevorzugt wird erstere Sichtweise, die Regierung in Rom kennt allerdings noch eine dritte Version: Sie preist liebend gerne das halbleere Glas als randvolles an.

Etwa im Fortschreiten der Rettung der Ruinenstadt Pompeji. Hier ist man zwar noch meilenweit von einer solchen entfernt, dennoch verkündete Ministerpräsident Matteo Renzi am Donnerstag die frohe Botschaft: Pompeji ist gerettet, ja auferstanden gar.

Es bedarf allerdings einiger Fantasie, um dieser Verkündigung Glauben zu schenken. Denn de facto geht die Rettung nur schleppend voran: Nach wiederholten Einstürzen leistete die EU im März 2012 Finanzhilfe, um den Verfall zu stoppen. Insgesamt wurden 105 Millionen für das GPP – das Großprojekt Pompeji – bereitgestellt. In der Folge mahnte Brüssel wiederholt, man möge die Gelder endlich verwerten, und setzte eine Frist: Sollten die Mittel bis Ende dieses Jahres nicht ausgegeben worden sein, werde man sie zurückfordern.

Nun ist das Projekt Pompeji nach anfänglichen Schwierigkeiten endlich aus den Startlöchern gekommen. Wie dessen Chefmanager Giovanni Nistri erläuterte, wird derzeit jede Woche eine Million Euro an der Großbaustelle ausgegeben – und das Resultat kann sich sehen lassen. Sechs weitere Häuser wurden nun restauriert und dem Publikum wieder zugänglich gemacht, darunter das Haus des Epheben, das mit seinen Fresken schön verdeutlicht, wie im alten Pompeji mit dem Verlassen des Knabenalters nicht nur die Zeit der Reife, sondern auch die der ungezügelten Sinneslust anbrach.

Eher haltlos muten jedoch auch die finanziellen Prognosen an: Zur Rettung der archäologischen Stätte reichen die anfänglichen 105 Millionen Euro nicht aus, es werden knapp 160 Millionen benötigt. Denn zu den chronischen Patienten sind eine Reihe weiterer Sorgenfälle hinzugekommen. Zudem muss das wohl wichtigste Projekt finanziert werden, der Piano della conoscenza, die Bestandsaufnahme des Areals.

Allein die Tatsache, dass dieser Plan nicht vollständig ausgearbeitet ist, lässt jeden aufhorchen, der weiß, dass Italien das Land der Notstandsstrategie ist, nicht aber das der Vorsorge: Es wird – teuer – repariert, wenn die Katastrophe eingetroffen ist, sie frühzeitig abzuwenden, dafür fehlt die – billigere – vorsorgliche Planung.

Wer rettet in der Not?

Im Falle von Pompeji drängt sich dabei eine beunruhigende Frage auf: Was geschieht, wenn die Sondermaßnahmen durchgeführt und die Häuser restauriert sind? Gibt es einen Plan, der die ordentliche, tägliche Bewahrung und Pflege des Kulturguts vorsieht? Gibt es einen Wartungsplan für das Areal, oder werden die Verantwortlichen wieder bis zur nächsten Katastrophe warten, um den Retter in der Not zu rufen? Nicht eben tröstlich ist in dieser Hinsicht auch die Nachricht, dass im Falle des Kolosseums die staatlichen Mittel zur Instandhaltung – zirka 1,5 Millionen Euro im Jahr – gestrichen wurden, nachdem Schuhunternehmer Diego della Valle tief in die Tasche gegriffen hat und mit 25 Millionen Euro das Wahrzeichen Roms restaurieren lässt.

Möglicherweise bringt ja die glorreiche – und wählerfreundliche – Idee von Regierungschef Renzi, seinen jugendlichen Landsleuten im kommenden Jahr bei Erreichen der Volljährigkeit eine Kulturbonuskarte in der Höhe von 500 Euro zukommen zu lassen, die Rettung. Hoffentlich werden die Beschenkten sofort nach Pompeji eilen, um aus dem tragischen Schicksal der vor knapp 2000 Jahren untergegangenen Stadt zu lernen. Sicherlich von großer Hilfe aber wäre, wenn der Staat genügend Geld und Personal zu Verfügung stellen würde, um die Ruinen der Vergangenheit auch noch für die nächsten Generationen zu erhalten.

Doch der Anfang ist gemacht, denn Nistri ist es immerhin gelungen, den Schleier der Undurchsichtigkeit zu zerreißen und die Gefahr der Unterwanderung der Rettungsaktion Pompeji durch die Mafia abzuwenden. Nistri ist kein Mann der Schönfärberei, sondern hält sich strikt an Zahlen und hat für entsprechende Transparenz gesorgt. Schade, dass die Regierung entschieden hat, seinen Vertrag mit Jahresende nicht zu verlängern. Es bleibt die Hoffnung, dass sein Nachfolger, General Luigi Curatoli, Nistris Arbeit gewissenhaft fortsetzen wird. (Eva Clausen aus Rom, 28.12.2015)